Schwaben-Herbst
Schweinerei beschäftigen zu müssen«, hatte Hutzenlaub abschließend geäußert.
Neundorf erinnerte sich noch gut an seine Bemerkung, starrte auf die Leiche. Die Parallelität der Verbrechen war nicht zu übersehen. Unterhalb des völlig entstellten Halses zog sich die Spur der Säure fast senkrecht hinunter bis zum Nabel, nur dort unterbrochen, wo sich zum Zeitpunkt des Attentats die inzwischen zur Seite gerutschte Krawatte befunden haben musste. »Derselbe also, ja?«, sagte sie leise, wie zu sich selbst.
Hutzenlaub hatte immer noch die Hand über den Augen. »Wenn du mich fragst, ja. Ohne jeden Zweifel.«
Sie atmete tief durch, versuchte, nicht an die Konsequenzen dieses Sachverhalts zu denken: Den Berg an Arbeit, den immensen Druck durch die verschärfte Aufmerksamkeit der Presse und der Öffentlichkeit, die großen Erwartungen auf schnellen Erfolg, die in den nächsten Tagen, Wochen, vielleicht sogar Monaten auf sie als ermittelnde Hauptkommissarin warteten. Dankbar dafür, in ihrem trübsinnigen Gedankengang unterbrochen zu werden, registrierte sie den ungefragt geäußerten Befund des Gerichtsmediziners.
»Ich kenne den Reutlinger Fall nur aus den Aufzeichnungen der Kollegin. Was die hier aufgefundene Leiche anbetrifft, kann ich aber mit Sicherheit sagen: Der Mann wurde mit der Säure attackiert und zwar primär im Gesicht und dem Schambereich und dann unmittelbar danach mit zwei gezielten Schüssen in die Brust getötet. Vor etwa zwei Stunden.«
»Wo war das? Hier?«
»An Ort und Stelle«, mischte sich Rössle vom Boden her ins Gespräch, »mir hent Spure von Säure uf dem Lack von dem Karre do.« Er wies auf das Auto, das direkt vor der Leiche geparkt war. Ein dunkler Opel Astra, wie Neundorf sah.
»Die Schüsse?«, fragte sie. »Aus unmittelbarer Nähe?«
Dr. Schäffler nickte. »Wie die Säure, ja. Ich schätze, derselbe Täter.«
»Wer ist der Tote? Haben wir seine Identität?«
»Grausmüller oder so«, antwortete Rössle, »frag die Fraue dort drübe, die kennet den.«
»Wir haben Zeugen?«, fragte die Kommissarin überrascht.
»Dort drübe in der Bücherei. Bei dene Beamte wartet zwoi Fraue. Die hent den entdeckt.«
Neundorf verabschiedete sich von dem Gerichtsmediziner, lief auf das im Eingangsbereich hell erleuchtete Gebäude auf der anderen Straßenseite zu, wies sich bei dem an der Tür wartenden Kollegen aus. Die Beamten der Schutzpolizei hatten die Straße auf beiden Seiten weiträumig abgesperrt, ebenso den Zugang vom Haupteingang der Zehntscheuer her. Mehrere Uniformierte waren damit beschäftigt, Massen von Neugierigen vom Tatort fern zu halten. Neundorf hörte die aufgeregten Stimmen, wandte sich angewidert ab. War es denn nicht einmal mitten in der Nacht möglich, ihre Arbeit ohne die Belästigung einer aufdringlichen, nach Sensationen lechzenden Meute zu erledigen?
Sie öffnete die Tür, sah sich im hell erleuchteten Eingangsbereich einer Bücherei. Drei Frauen, eine davon eine uniformierte Kollegin, saßen in ein Gespräch vertieft nebeneinander. »Ich kann es nicht verstehen, beim besten Willen nicht«, äußerte gerade die Jüngste. Neundorf schätzte sie auf Ende Zwanzig, bemerkte die Erschöpfung in ihrem Gesicht. Trotz ihres von den Anstrengungen des langen Tages gezeichneten Zustands war nicht zu übersehen, dass es sich um eine bildhübsche junge Frau handelte. Die Nachbarin zu ihrer Linken musste heftig geweint haben, ihre Wangen zeigten Spuren verwischter Schminke, Lidschatten erstreckte sich den rechten Nasenflügel entlang fast bis zu den Lippen.
Neundorf hörte die Tür hinter sich ins Schloss fallen, sah die Augen der drei Frauen auf sich gerichtet. Sie trat näher, stellte sich vor.
»Dann sind Sie endlich die Kommissarin?«, fragte die Frau mit der verwischten Schminke.
»Es tut mir leid, wenn Sie warten mussten«, entschuldigte sie sich, »ich hoffe, Sie haben Verständnis, dass ich Sie heute Nacht noch persönlich sprechen möchte. Wir haben schließlich einen Toten …« Sie hielt inne, weil ihr Gegenüber plötzlich laut losheulte, sah, wie sich die Frau vor Erregung schüttelte.
Neundorf waren solche Reaktionen vertraut, vermutete, dass ihre Gesprächspartnerin den Toten gefunden hatte.
Die Jüngere legte der Weinenden behutsam den Arm um die Schulter, versuchte, sie zu trösten. »Sie hat ihn entdeckt«, sagte sie dann, zu Neundorf gewandt, »das heißt, eigentlich bin ich zuerst auf ihn aufmerksam geworden, aber sie hat vor mir begriffen, wer
Weitere Kostenlose Bücher