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Schwaben-Messe

Schwaben-Messe

Titel: Schwaben-Messe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Wanninger
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öffnen. Der Schlüssel hakte, wollte nicht richtig greifen. »Wissen Sie, normalerweise gehe ich niemals allein in sein Zimmer. Ich habe es ihm versprochen. Aber jetzt …« Sie schaute traurig auf das Schloss, bemühte sich weiter.
    Als die Tür endlich aufging und sie im Zimmer standen, schaute Neundorf enttäuscht über das große Bett, das die gesamte rechte Seite einnahm. Kein Schrank, kein Regal, nur links ein kleiner Tisch mit einem Stapel Zeitschriften. Die Wände bis auf drei farbige Poster mit Schauspielern aus Wildwestfilmen weitgehend kahl, an der Decke eine alte Lampe mit bunten Tieren auf dem ursprünglich wohl knallgelben, inzwischen längst verblichenen Schirm. Vorne am Fenster neben dem Bett ein kleiner Nachtschrank, das war alles an Mobiliar. Irgendwelche entlarvenden oder wenigstens überraschenden Funde waren in diesem Raum wohl kaum zu erwarten.
    Neundorf sah die glasigen Augen der Wohnungsinhaberin, die das Zimmer wie ein Heiligtum betrachtete, bewegte sich vorsichtig zu dem kleinen Tisch, blätterte den Zeitschriftenstapel durch. Alte, abgegriffene Asterix-Hefte, zwei Ausgaben von GEO, sonst nichts. Zwei Schritte weiter, auf dem Nachtschränkchen ein Foto Wolfgang Jahns in einem silbern glänzenden Rahmen.
    »Das ist das Bild. Das letzte von seinen Übungen. Er hat es besonders gern.«
    Ein Mann in militärischer Uniform, inzwischen deutlich gealtert, Dreitagebart, ein Gewehr in der Hand, in Siegerpose in die Kamera lachend. Hinter ihm ein großes Haus, dessen rechte Seitenwand deutlich von Einschüssen gezeichnet ist.
    Neundorf nahm das Foto in die Hand, hielt es sich vors Gesicht. »Wo ist es aufgenommen?«, fragte sie. Links von dem Haus ein kleiner, eingeschossiger Vorbau, darüber ein langgezogenes Schild mit seltsamer Beschriftung. Neundorf konnte sie nicht entziffern.
    »Auf der Schwäbischen Alb«, antwortete Hildegard Jahn.
    Die Kommissarin hielt das Foto ans Fenster, versuchte, die Buchstaben auf dem Schild im hellen Licht besser zu erkennen. Waren ihre Augen schon so schlecht? Plötzlich bemerkte sie, warum sie es nicht lesen konnte. Es waren nicht die gewohnten Buchstaben, die bei uns übliche Schrift …
    Sie überlegte, wo sie diese Zeichen schon einmal gesehen hatte. Kyrillisch, fiel es ihr ein, manchmal zeigten sie in den Nachrichten Bilder aus Russland oder anderen osteuropäischen Ländern mit diesen Buchstaben. Also hatte sich Wolfgang Jahn irgendwo im europäischen Osten herumgetrieben und dort Soldat gespielt. Gespielt?
    »Er will es unbedingt an seinem Bett stehen haben«, sagte Hildegard Jahn.
    Neundorf, aus ihren Gedanken gerissen, starrte verwirrt zu der Frau. »Was?«
    »Weil er das Foto so mag«, erklärte Jahns Mutter.
    Neundorf nickte. »Hat er noch mehr davon?«, fragte sie.
    War das endlich die Erklärung für die Männertouren? Jahn als Soldat irgendwo in einem osteuropäischen Bürgerkrieg. Das Haus, vor dem er hier stand, war offensichtlich ein Bahnhof, am äußersten linken Rand gerade noch ein Stück von einem Gleis zu erkennen, das Gebäude selbst zerschossen und von Treffern vernarbt.
    »Nein. Er hatte nie einen Foto dabei. Leider.«
    Neundorf deutete auf das Nachtschränkchen, bückte sich nieder, öffnete es schnell, bevor die Frau dagegen protestieren konnte. »Hier ist nichts drin?«
    Nur Asterix-Hefte, ein altes Fußballalbum, ein paar vergilbte Ausgaben des Stern. Enttäuscht richtete sie sich wieder auf. »Darf ich das Foto kurz mitnehmen? Ich bringe es Ihnen heute mittag wieder zurück.« Sie deutete auf das Bild im Silberrahmen.
    Hildegard Jahn wusste nicht, was sie antworten sollte, kämpfte mit sich selbst.
    »Dem Bild passiert nichts. Garantiert. Aber es kann uns helfen. Wir wollen seinen Mörder finden, verstehen Sie?« Neundorf hatte das Thema noch nicht angesprochen, wollte sich aber nicht mehr länger davor drücken. Sie konnte nicht länger verheimlichen, was der Grund ihres Besuches war. Bis auf das Foto auf dem Nachtschränkchen war sie bis jetzt noch nicht viel weitergekommen.
    »Ja, nehmen Sie es. Aber ich bekomme es wieder, versprochen?«
    »Ehrenwort«, schwor Neundorf, »Sie können sich darauf verlassen.« Langsam lief sie zur Tür, das Foto in der Hand. »Wer konnte Ihren Sohn nicht leiden?«, fragte sie. »Wer hasste ihn so sehr, dass er bereit war, ihn zu töten?« Sie ging nicht weiter auf die Einzelheiten ein, hatte keine Ahnung, ob die Frau überhaupt von den besonderen Umständen seines Todes wusste. Allein die Tatsache

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