Schwaben-Messe
erhielten die Giftspritze, obwohl sie meinen Unterlagen nach alle Vollpsychos waren oder wie Sie, Frau Kommissarin, es auszudrücken pflegen, Verrückte, die nach Winnende gehöret.«
»Das heißt, wir müssen damit rechnen, es mit einem Irren zu tun zu haben?«
»Geben Sie mir Zeit. Ich muss mich noch weiter einarbeiten. Fast alles, was mir vorliegt, stammt von den Amis. Und bei denen gibt es, das weiß jeder Forscher meiner Zunft, mehr Gestörte als auf dem gesamten Rest des Erdballs. Als vorläufiges Statement zwischen Tür und Angel kann ich Ihnen nur das mitgeben: Serientäter mit dieser überaus interessanten Spielart sind bisher nur aus irrationalen Beweggründen handelnd aufgetreten. Nicht ein Fall verzeichnet rational nachvollziehbare Handlungsimpulse, wie wir ganz besonderen Gscheitles das nennen. Tut mir sehr leid, ich weiß, was das bedeutet.«
»Jeder kann es sein. Und wie bei Verrückten üblich, gibt es keinerlei Anhaltspunkte, an denen wir uns orientieren könnten und für Sie keine Möglichkeit, uns ein Soziogramm oder eine psychologische Studie eines potenziellen Täters zu erstellen, ja?«
Hausmann hatte wie ein Walross geprustet, war ins Schwäbische verfallen. »Wartet Se ab, Mädle, was de Hausma no rausfinde ka. I woiß selber, des isch fei no nix rechts bis jetzt. Norre net hudle, s’fließt no gnuag Wasser de Neckr nunter.«
Neundorf hatte lange über die Worte des Psychologen nachgedacht. Keine rationalen Beweggründe? Irgend ein Irrer, der draußen umherlief und nach, wie er vielleicht meinte, göttlicher Eingebung Männer anfiel?
Sie wollte es nicht glauben. Das entsprach nicht ihrer Erfahrung. Verbrechen geschahen fast immer aus konkret nachvollziehbaren Beweggründen. Affekte, Emotionen, individuelle Probleme, die hochkochten und einen Menschen in außergewöhnliche Umstände versetzten. Einen normalen Menschen. Eine Person wie du und ich. Selten Berechnung, pure Mordlust. Irre, Verrückte? Vielleicht in den USA, wie Hausmann ironisch angedeutet hatte, aber bei uns?
Sie konzentrierte sich wieder auf das Album vor ihr, die Fotos, die Hildegard Jahn ihr erklärte.
»Da haben wir einen Sonntagsausflug gemacht. Mit dem Zug nach Horb und dann hoch in die Altstadt. Hier, sehen Sie den Neckar. Da steht er, mein Wolfgang.«
Der kleine Junge trug wieder die unförmigen, viel zu weiten Hosen, die nur knapp über die Knie reichten. Einmal stand er mitten auf einer Brücke über den noch recht schmalen Fluss, dann weit oben auf einer Mauer mit einem schönen Ausblick auf das Tal.
»Wolfgang ist Ihr einziges Kind?«, fragte Neundorf. Sie sprach von ihm, als lebe er noch, um die alte Frau zu schonen.
Hildegard Jahn nickte mit dem Kopf. »Wir waren nicht lange verheiratet, mein Heinrich und ich. Als Wolfgang sechs Jahre alt war, wurde Heinrich mitten in Böblingen von einem Auto überfahren. Der schleppte ihn mit. Es blieb nicht viel von ihm übrig.« Sie kämpfte mit den Tränen, wischte sich die Augen trocken. »Ich wollte nicht mehr heiraten, hatte keinen Mut mehr dazu. Wozu eine neue Existenz beginnen, wenn sie so schnell zerstört werden kann?«
Neundorf wollte die Frau nicht länger an ihr erlittenes Unheil erinnern, blätterte in den Alben. »Und hier stehen wir auf dem Marienplatz vor der Zahnradbahn. Zacke nannten die Leute den kleinen Zug, der ganz steil nach Degerloch hoch fährt. Das ist Wolfgang und neben dran ich. Hat mein Mann fotografiert.«
Zwei Seiten weiter war der Junge dann deutlich gewachsen. Er trug zwar immer noch die unmöglichen Hosen, die ihm jetzt gerade noch bis zu den Knien reichten, war aber mindestens einen Kopf größer geworden.
»Sie haben ein gutes Verhältnis zu Ihrem Sohn?«
Hildegard Jahn benötigte eine Weile, aus der Vergangenheit in die Gegenwart umzuschalten. »Immer«, sagte sie, berichtigte sich dann, »fast immer. Wirklich, bis auf einige Jahre, wo wir es schwierig miteinander hatten. Aber das ist wohl in jeder Familie so.«
»Bestimmt. Manchmal will es einfach nicht klappen.«
»Vielleicht habe ich ihn zu sehr verwöhnt. Aber er war mein einziges Kind, und wen hatte ich noch außer ihm? Mein Mann war tot, na ja, meine Schwester, aber die hatte ihre eigene Familie, jedenfalls, bis ihr Sohn schwer krank wurde und starb. Da bleibt es nicht aus, dass man aneinander hängt, vielleicht stärker als in anderen Familien. Wolfgang hat bis heute sein eigenes Zimmer bei mir. Auch hier in der neuen Wohnung.«
»Ein eigenes Zimmer?«
»Ja, er
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