Schwaben-Messe
rabenschwarzen, wuscheligen Haare, die ausgemergelten schmutz-verschmierten Gesichtszüge, seine scharfkantigen Wangenknochen. Er trug die ausgebleichte, viel zu weite alte Jacke, die sich einem Vorhang ähnlich um seinen schmalen Körper wickelte. Die kurzen, dünnen Beine steckten in denselben schmutzigen Jeans wie gestern. Sie durfte jetzt keine Zeit verlieren. Zweimal war er ihnen entkommen, heute durfte dieses Missgeschick nicht wieder passieren.
Elfriede Buschmann trat vorsichtig einen halben Schritt vom Fenster zurück, damit der junge Verbrecher sie nicht erspähen konnte, tippte die Polizeiziffern ins Telefon. Sie kannte sie auswendig, hatte sie längst gelernt. Aufgeregt pochte ihr Puls, bis der Beamte endlich abnahm. »Er ist wieder da. Der rumänische Einbrecher«, zischte sie, leise, damit er sie trotz des geschlossenen Fensters nicht aus Versehen hörte, »schnell, bitte schnell.«
Der Beamte fragte nicht lange, wusste inzwischen, um was es ging. Sie kannte seine Stimme, hatte bereits mit ihm zu tun gehabt.
»Sofort«, versprach er, »heute geht es sehr schnell.«
Stolz auf sich und ihre Aufmerksamkeit legte sie den Hörer auf, starrte aus dem Fenster. Der Junge draußen kroch auf allen Vieren unter dem Busch hindurch, robbte dann den Rasen entlang, nahm Kurs auf die beiden in der Einfahrt geparkten Autos. Elfriede Buschmann wusste, was das bedeutete. Er hatte einen der Wagen in seinem Visier, wollte ihn in den Osten schaffen, nach Russland, Polen, Rumänien.
Sie beugte sich weiter nach vorne, sah, wie er sich blitzschnell aufrichtete und die Hausfassaden auf beiden Seiten kurz musterte. Erschrocken schnellte sie einen halben Meter zurück, wich seinen aufmerksamen Augen aus. Der Junge war gefährlich, jede Sekunde bereit zuzuschlagen. Als sie sich endlich wieder nach vorne wagte, hatte er das erste Auto gerade erreicht. Er lief direkt auf das Fahrzeug zu, wandte sich dann blitzschnell nach links, streckte seine flinken Hände aus, machte sich an einer der Müllboxen zu schaffen. Im Bruchteil von Sekunden hatte er das Blech zur Seite geschoben und den Deckel der Tonne geöffnet.
Er sucht ein Werkzeug, um das Auto zu knacken, schaffte es in ihr, wo bleiben die nur, um ihn noch rechtzeitig abzufangen? Sie spürte, wie ihr Herz pochte, ihre Hände zitterten. Ließen die sie schon wieder im Stich? Es würde schnell gehen, hatte der Beamte versprochen, sehr schnell sogar, wo blieben sie jetzt?
Elfriede Buschmann stierte nach unten, erstarrte. Der Junge hing Hals über Kopf über der geöffneten Tonne, kramte im Müll, stopfte sich Teile der dunklen Masse hastig in den Mund. Seine Zähne mahlten, seine Kiefer klappten auf und zu. Während er das Zeug in sich schlang, blickte er ängstlich umher, die Hofeinfahrt entlang, über den Rasen hinweg, dann die Hausfassaden hoch, zuerst auf die des Nachbargebäudes, dann auf ihrer Seite. Für den Bruchteil einer Sekunde hatte er sie erspäht, als sie mit vor Neugier weit geöffneten Augen an der Scheibe lehnte und nach unten gaffte, dann war er auch schon verschwunden. Er hatte sie bemerkt, sofort seine seltsame Tätigkeit beendet, war von der Tonne geglitten wie ein durchtrainiertes Wiesel, hatte dabei das Tor der Box zugestoßen und war blitzschnell die Einfahrt hoch verschwunden.
Als das grün-weiße Polizeifahrzeug keine zwanzig Sekunden später eintraf, pochte Elfriede Buschmanns schlechtes Gewissen stärker noch als ihr ohnehin aus den Fugen geratener Puls. Sie war schuld, dass er ihnen schon wieder entwischt war.
21.
Mona Peters wohnte in Denkendorf, einer kleinen, durch ihr im Mittelalter die gesamte Region beherrschendes Kloster berühmten Stadt auf den Anhöhen südlich von Esslingen. Neundorf fand sie in aufgewühltem Zustand, eine große Kaffeetasse vor sich, das mit Büchern über und über angefüllte Zimmer von schweren, schmetternden Klängen erfüllt.
Frau Peters lief zu ihrer Stereoanlage, dämpfte die Musik. »Wagner. Normalerweise macht mich seine Wucht aggressiv, aber wenn ich völlig aufgewühlt bin, hilft es mir.«
»Ihre Beziehung war noch sehr intensiv?«
Sie hatte Neundorf einen der drei schweren Sessel angeboten, die sich um einen runden Tisch gruppierten. Auf allen Seiten des Raums, sogar unter den langgezogenen Fenstern, stapelten sich in dunklen Holzregalen Bücher über Bücher. Das pure Gegenstück zur Wohnung des Exmannes.
»Nein«, betonte Mona Peters, setzte sich der Kommissarin gegenüber, lehnte sich in den Sessel
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