Schwaben-Messe
sich viel Zeit gelassen. Elfriede Buschmann war extra früh aufgestanden, kurz vor acht Uhr schon, hatte sich nur kurz gewaschen und in höchster Eile angekleidet, um das Auftauchen des Jungen auf keinen Fall zu versäumen. Bevor sie ans Zubereiten ihres an Röststoffen armen Kaffees gegangen war, hatte sie das Telefon von der Anrichte genommen und vorsichtig auf den Tisch, möglichst nahe ans Fenster geschoben. Zwar war sie jetzt schon zweimal über das in etwa zwanzig Zentimetern Höhe quer durchs Zimmer verlaufende, straff gespannte Kabel gestolpert, dabei einmal sogar mit dem Kopf an die Lehne eines Stuhls gestoßen, doch hatte der neue Standort den unüberbietbaren Vorteil, dass sie den Apparat jetzt direkt vom Fenster aus bedienen konnte. Sobald der Junge auftauchte, würde sie anrufen, damit es heute endlich gelang, den frühreifen Verbrecher zu fangen.
Sie wollte sich nicht länger vor den mürrischen Gesichtern der Polizisten rechtfertigen müssen, die jetzt zwei Tage hintereinander die gesamte Umgebung abgesucht und ihr dann fast vorwurfsvoll ihre Erfolglosigkeit vorgehalten hatten. Heute stand es wieder schwarz auf weiß in der neuesten Ausgabe der Lokalzeitung, die Aufforderung des Ministerpräsidenten und seiner Landesregierung, gerade jetzt in der Urlaubszeit auf unbekannte Gesichter in der Umgebung zu achten, um skrupellose Gauner schon vor Beginn ihrer ruchlosen Taten zu entlarven und dadurch Verbrechen zu verhindern. Die Berliner Bundesregierung wurde ermahnt, endlich mehr Geld für Überwachungsmaßnahmen zur Verfügung zu stellen und nicht länger vor dem Ansturm der ausländischen Mafia zu kapitulieren. Man konnte nicht wachsam genug sein, das Verbrechen lauerte überall.
Elfriede Buschmann schaute auf die Straße, folgte den Autos, die vorbeifuhren, mit ihrem Blick. Unten im Hof hinter dem Nachbarhaus schien alles in Ordnung. Die Einfahrt zu den Garagen lag leer und verlassen da, der Wochenenddienst hatte die Umgebung der Mülleimerboxen ordentlich und sauber gekehrt und von jedem Schmutz befreit. Der Rasen war frisch gemäht, die gesamte Grünfläche äußerst gepflegt. Glänzend polierte, das Sonnenlicht in unzähligen Variationen spiegelnde Autos standen auf den Parkplätzen, fast alle ohne jede Verunreinigung, in einwandfreiem Zustand. Der Herr Ministerpräsident würde sich freuen, überlegte Elfriede Buschmann, die Ordnung und Sauberkeit der Umgebung hier zu sehen.
Nein, Beutelsbach im schwäbischen Remstal brauchte sich nicht zu verstecken, hier herrschten noch ordentliche Zustände, in Schuss gehalten von Menschen, die peinlich darauf achteten, dass sich ausländische Verbrecher erst gar nicht einnisten und ihre gepflegte Umgebung unsicher machen konnten. Im nahen Stuttgart war das natürlich schon ganz anders: Jedesmal, wenn Frau Buschmann die S-Bahn in die Landeshauptstadt nahm und dort schnell in die Geschäfte oder zu den Ärzten eilte, die sie unbedingt aufsuchen musste, weil es nicht anders ging, erschrak sie über das ganze Gesindel, das sich dort überall herumtrieb, ordentlichen Bürgern in allen Ecken auflauerte und die Wege selbst am helllichten Tag in ein einziges lebensgefährliches Risiko verwandelte, bei dem Leib und Leben aufs Höchste bedroht waren: Dunkelhäutige Drogendealer, halbschwarze Schläger, italienische Mafiosi, russische Mörder, rumänische Diebe bevölkerten in Stuttgart dermaßen zahlreich die Straßen, dass es eine Schande war.
Genau in dem Moment, als ihr diese Gedanken durch den Kopf gingen, sah sie den Jungen. Er stand im Schatten des mächtigen Busches hinter dem Nachbarhaus, suchte Schutz vor der prallen Mittagssonne. Elfriede Buschmann hatte ihr Frühstück längst verzehrt, unruhig zwar und ohne großen Appetit, war aber vor lauter Aufmerksamkeit auf die Umgebung noch nicht dazu gekommen, das Geschirr abzuräumen, geschweige denn, es zu spülen. Erschrocken schaute sie auf die Uhr, bemerkte, dass es höchste Zeit fürs Mittagessen war.
Mehrere Autos passierten die Straße, ein knatterndes Motorrad folgte. Der Junge beobachtete die Fassade des Nachbarhauses, sah die geschlossenen Fenster, die leblosen, scheinbar unbesiedelten Balkone. Überall Ruhe. Menschen, neugierige Gesichter, Leben in irgendeiner Form war nirgendwo zu entdecken. Vorsichtig bewegte sich der Junge jetzt an dem mächtigen Busch vorbei, wagte sich für einen kurzen Moment aus der Deckung. Er stand für den Bruchteil einer Sekunde voll im grellen Licht der Sonne.
Sie sah seine
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