Schwaben-Messe
Mittagspause.
Als Neundorf die Reste eines Apfels in einem Abfallkorb entsorgte, fiel ihr ein, was sie dringend veranlassen musste. Sie zog ihr Handy hervor, ließ sich von der Auskunft die Nummer der regionalen Telekomverwaltung geben, läutete dort an.
Die Mitarbeiter des Telefonkonzerns zeigten sich nicht sonderlich erfreut, als sie ihr Anliegen vorbrachte.
»Ich benötige für die letzten sechs Monate alle Verbindungen, die Herr Jahn sowohl von seinem Privat- als auch von seinem Geschäftstelefon aus getätigt hat. Faxen Sie diese bitte baldmöglichst, also heute Mittag noch, ins Landeskriminalamt, ich gebe Ihnen meine Nummer.«
»Heute Mittag noch?«
»Es ist dringend. Wir ermitteln in einer Mordserie. Ich bitte Sie, Ihr Möglichstes zu tun, um uns schnell zu helfen.«
»Gut. Wir werden uns bemühen. Aber wenn dieser Mensch mit der Konkurrenz telefonierte, tut uns das leid.«
»Ich werde versuchen, es festzustellen. Vielen Dank.«
Sie mussten die Gespräche, die er in den letzten Monaten geführt hatte, alle überprüfen. Vielleicht stießen sie auf eine Person, die etwas zu verbergen hatte.
Hausmann, der Psychologe des Amtes, war nicht zu erreichen. Sie hätte ihn gerne nach seiner Expertise befragt, welche Tätergruppen dafür infrage kamen, Männer auf solch bestialische Weise ins Jenseits zu befördern. Konkurrenten, denen eine Frau weggeschnappt worden war? Beseitigung und symbolische Vernichtung des Nebenbuhlers? Warum dann aber zwei Morde so dicht hintereinander? Gab es zwischen Jahn und Grandel Gemeinsamkeiten über ihre Todesfolter hinaus?
Neundorf kramte die Nummer Sabine Grandels vor, wählte. Keine Reaktion. Sie musste die Frau befragen, ob ihr Wolfgang Jahn bekannt gewesen war. Vielleicht konnte Braig das für sie erledigen?
Sie gab seine Nummer ein, erreichte ihn beim Kartoffel-Imbiss in der Marktstation im Hauptbahnhof. Überrascht hörte sie seinen Bericht über Holzwarths Beobachtung.
»Du hast die Grandel gestern gesehen?«, fragte Braig.
»Logisch. Ich musste ihr die Nachricht vom Tod ihres Mannes überbringen.«
»Und? Hättest du ihr diese Lüge zugetraut?«
»Offen gesagt, nein. Mir kam sie ziemlich niedergeschlagen vor. Ich glaube, die war wirklich fertig. Das plötzliche Verschwinden des Partners wegzustecken, ist sicher nicht einfach, oder?«
Braig gab ihr recht, entschuldigte sich, weil er die S-Bahn nach Echterdingen erreichen wollte. »Ich muss die Krauter noch mal interviewen. Gübler will unbedingt die Teilnehmerinnen ihrer nächtlichen Feiern identifizieren. Er glaubt immer noch, dort den Täterkreis suchen zu müssen.«
Neundorf verabschiedete sich von ihm, läutete im LKA an und bat den Kollegen um Informationen über Heinel und Gerlacher.
»Heinel, Bernd«, antwortete der Beamte, »nichts. Unbekannt.«
Neundorf hörte seine Finger über die Tastatur des Computers gleiten.
»Gerlacher, Hermann, ah ja, da sieht es schon besser aus.«
Überrascht wartete sie auf die Auskunft.
»Gerlacher, Hermann. Acht Monate auf Bewährung wegen räuberischer Erpressung, 1988. Drei Jahre später zweieinhalb Jahre wegen eines Überfalls auf eine Bank. Und 1997 noch mal zwei Jahre, Versuch der räuberischen Erpressung. Der Junge ist noch gar nicht lange wieder draußen. Gibt’s was Neues über ihn?«
Neundorf zögerte. »Ich bin dabei, es nachzuprüfen. Mal sehen.«
Sie bedankte sich bei dem Kollegen, überlegte: Von räuberischer Erpressung und Banküberfall zu Mord war meist ein weiter Weg, wusste sie aus Erfahrung. Menschen zu überfallen, um ihnen ihr Eigentum zu rauben, beinhaltete aggressive kriminelle Energie. Menschen zu töten, noch dazu so bestialisch wie zweimal geschehen, erforderte jedoch einen deutlich höheren Einsatz diabolischer, zerstörerischer Kräfte. Dennoch konnte sie natürlich nicht ausschließen, dass einer beim Versuch, einen anderen zu erpressen, ausrastete und um sich schlug, falls sein kriminelles Unternehmen fehlzulaufen drohte. War Gerlacher in eine solche Situation geraten?
Neundorf beschloss, sich den Mann vorzunehmen. Sie rief bei ihm an, erfolglos. Entweder war er bei der Arbeit oder sonstwo unterwegs. Spätestens um 16 Uhr würde sie ihn antreffen, im Autohaus Jahn.
Sie nahm sich vor, den Mann dort zu überraschen. Dann blieb ihr vorher noch die Zeit, Mona Peters, die heute Morgen ihren ehemaligen Mann identifiziert hatte, aufzusuchen und zu befragen. Sie hoffte, dass sich die Frau inzwischen etwas beruhigt hatte.
20.
Heute hatte er
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