Schwaben-Sumpf
herunterspringen sehen, hatten sich keine nennenswerten Anhaltspunkte ergeben. Die Kommissarin war bei dem Mann telefonisch vorstellig geworden, hatte nach seiner Behauptung, er traue sich eine einigermaßen prägnante Beschreibung der beiden Männer zu, einen Termin für den Sonntagabend mit Daniel Schiek, dem erfahrenen Phantombildersteller des LKA anberaumt.
»Ausgerechnet am Muttertag«, hatte Schiek einzuwenden versucht.
»Ich komme meinen Pflichten auch nach. Ist achtzehn Uhr akzeptabel?«
Nach Schieks Zusage hatte sie den Anwohner gebeten, pünktlich ins Amt zu kommen, war wieder nach Hause geeilt. Thomas Weiss hatte gemeinsam mit ihrem Sohn das Mittagessen gekocht. »Damit ihr pünktlich ins Altersheim kommt«, hatte er erklärt.
Die Schwarzwälder Kirschtorte schmeckte hervorragend. Neundorf und ihrem Sohn jedenfalls. Ihre Mutter dagegen verzog ihr Gesicht.
»Ich sage doch, da fehlt das Fett«, erklärte sie nach dem ersten Versuch, legte die Gabel aus der Hand, verzichtete darauf, sich vom Gegenteil überzeugen zu lassen.
»Oma, du hast keine Ahnung, was gut ist«, erwiderte ihr Enkel. Er hatte kein Problem, ein zusätzliches Tortenstück zu verspeisen.
Der Anruf kam in dem Moment, als sie gerade im Garten des Altenheims spazieren gingen.
»Nicht einmal am Muttertag nimmst du Rücksicht auf mich«, hörte Neundorf, noch bevor sie das Gespräch entgegengenommen hatte.
Sie meldete sich, erfuhr, dass es gelungen war, Felix Eitner vor seiner Wohnung aufzugreifen. »Dann bitten Sie die Kollegen, den Mann ins Amt zu bringen. Um siebzehn Uhr bin ich in meinem Büro.«
Sie waren vor dem kleinen Brunnen angelangt. Dünne Rinnsale von Wasser plätscherten von Stufe zu Stufe. Wenige Meter entfernt stand ein in den kräftigsten Farbtönen blühender Fliederbusch, umgeben von einem Heer hellblauer Iris. Betäubend blumiges Aroma lag in der Luft.
»Wunderschön hast du es hier«, stellte Neundorf fest, »ich glaube, es war wirklich die richtige Entscheidung, dass du nach Großheppach gegangen bist.«
Die körperliche Verfassung ihrer Mutter hatte sich im letzten Jahr derart verschlechtert, dass nicht länger an ein eigenständiges Leben zu denken gewesen war. Ihre Wohnung in Karlsruhe aufzugeben und ins Nachbarhaus ihrer Tochter in Waiblingen zu ziehen, wo gerade ein kleines Appartement im Erdgeschoss leer stand, war deshalb beschlossene Sache. Dann jedoch war sie beim hastigen Überqueren einer Straße, der allzu kurzen Grünphase für Fußgänger wegen, gestürzt und hatte sich den Arm und den rechten Oberschenkelhals gebrochen. Jetzt war auch dieses Vorhaben nicht mehr zu realisieren gewesen. Durch den Hinweis einer Kollegin war Neundorf auf das Wohn- und Pflegestift der Schwesternschaft in Großheppach aufmerksam geworden. Sie hatte es gemeinsam mit ihrer Mutter besichtigt und dabei bemerkt, dass deren anfängliches Zögern mehr und mehr geschwunden war. Nach wenigen Monaten in der neuen Umgebung schien die ursprüngliche Skepsis weitgehend verflogen. War es Einsicht in die unumgänglich gewordene Änderung ihrer Wohnsituation oder nur Resignation? Neundorf wusste es nicht. Der freundliche Umgang der Betreuerinnen sowie die reizvolle Lage an dem kleinen im Innenhof des Heims angelegten, parkähnlichen Garten trugen auf jeden Fall dazu bei, zumindest den Ansatz innerer Zustimmung zur neuen Heimat bei ihrer Mutter entstehen zu lassen. Ein weiterer wichtiger Vorteil der neuen Wohnung war ihnen erst in den letzten Monaten so richtig bewusst geworden: Direkt vor dem Heim lag die Haltestelle der Stadtbuslinie aus Waiblingen, die alle paar Minuten verkehrte und Neundorf und ihrem Sohn Johannes eine umsteigefreie Verbindung direkt vom Waiblinger Bahnhof unweit der eigenen Wohnung ermöglichte. So konnte der Neunjährige selbstständig und ohne Gefahr jederzeit zu seiner Oma gelangen.
»Du brauchst nicht abzulenken. Heute ist Muttertag.«
Neundorf ließ sich die gute Laune nicht verderben. »Deshalb haben wir dich heute wieder besucht und deinen Lieblingskuchen mitgebracht.«
Zehn Minuten nach fünf sah sie sich in ihrem Büro mit Felix Eitner konfrontiert. Der junge Mann wirkte wie ein aus dem Gleichgewicht geratener Prototyp eines Bodybuilders. Die Haare ultrakurz, gerade noch im Ansatz zu erkennen, unrasiert, das ursprünglich weiße Muskel-T-Shirt im Brustbereich von Flecken übersät.
Sein Aussehen spiegelte seine Stimmung. Die uniformierten Kollegen hatten, Eitner in der Mitte, Neundorfs Büro gerade
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