Schwaben-Sumpf
Hatte sie überhaupt auch nur im Entferntesten eine Ahnung davon, was hier ohne Unterbrechung auf ihn einstürmte, welchem Dreck, welchen Abgründen menschlicher Missgunst und Hasses er Stunde um Stunde ausgesetzt war?
Nein, das war unmöglich, trotz all ihres unsäglichen den Partner-Verstehens-Bemühungs-Geschwafels. Zum Glück hatte er Sophia. Und alles Schimpfen und Nörgeln vermochte es nicht, die Stunden mit ihr zu beeinträchtigen, so heftig die Störfeuer auch ausfielen. Den Sonntag in der Wilhelma, seine Tochter an der Hand oder in unmittelbarer Nähe, behielt er als wahren Sonnen-Tag in Erinnerung, wie viele Wolken auch den realen Himmel verdunkelt haben mochten. Einzig die kurze Bemerkung Sophias am Abend, wenige Minuten, ehe sie nach Hause gekommen waren, hatte ihn für Sekunden etwas aus der Fassung gebracht: »Papa, heute war es wunderwunderschön, aber Mama und du – wann vertragt ihr euch endlich wieder?«
Das Läuten des Telefons holte ihn in dem Moment in die Realität zurück, als sie gerade dabei waren, den Keller zu überprüfen. Er nahm das Gespräch an, hörte Neundorfs Stimme.
»Und? Habt ihr die Typen?«
»Wir sind in der falschen Wohnung«, blaffte er zurück, »in diesem Loch haben keine drei Leute Platz.«
»Vukmirovic, Hohenheimer Straße«, sagte sie, nannte die Hausnummer.
»Da sind wir, ja. Aber das reicht nicht für eine Frau und zwei fast erwachsene Söhne. Zwei kleine Zimmer, alles komplett vollgestellt.«
»Niemand zu Hause?«
»Garantiert nicht. Die hätten keinen Platz, sich vor uns zu verstecken.«
»Auch nicht im Keller?«
»Wir sind gerade dabei, ihn zu überprüfen.« Sie hatten den Verschlag mit dem gesuchten Familiennamen gefunden, starrten durch die Hohlräume zwischen den Brettern ins Innere.
»In der Schule sind sie ebenfalls nicht«, fuhr Neundorf fort. »Ich habe mich selbst davon überzeugt.«
»Die sind getürmt. Damit ist alles klar. Die wissen, warum.«
»Die Lehrer erwähnten allerdings, sie würden oft fehlen.«
»Schwänzer«, sagte er, »das passt.«
»›Mit korrekten Entschuldigungen der Mutter‹, betonte einer der Lehrer.«
»Dann steckt die Alte mit unter der Decke. Verwahrlostes Pack. Was machen wir jetzt?«
»Was war mit dem Keller?«
»Ein winziger Raum. Voller Kisten und Koffer. Nicht eine Ratte zu sehen.«
»Dann müssen wir uns um die Frau kümmern. Sie weiß vielleicht, wo sich ihre Söhne aufhalten.«
»Wo ist sie zu finden?«
»Sie arbeitet in der Uni-Mensa. Oben in Vaihingen.«
»Das übernehme ich«, erklärte Felsentretter, »die knöpfe ich mir persönlich vor. Will doch mal sehen, ob ich die nicht zum Reden bringe.«
»Das ist gut. Ich versuche, noch einen Lehrer zu erreichen, der angeblich engeren Kontakt zu den beiden Brüdern hat.«
»Die Wohnung lassen wir derweil überwachen?«
»Unbedingt. Du kümmerst dich darum?«
Er sicherte ihr das zu, gab in der nächstgelegenen Polizeidienststelle Bescheid, bat Seibert, zu warten, bis ein Kollege auftauchte.
Für den Weg zum Pfaffenwaldring in Vaihingen benötigte er keine fünfzehn Minuten. Er kannte die modern eingerichtete Mensa der Universität, hatte in der Nähe schon mehrfach zu tun gehabt und sich dabei zwei- oder dreimal mit studentischer Hilfe ein preiswertes Mittagessen besorgt. Mit großen Schritten stürmte er zum Eingang, verschaffte sich mit ungestümem Klopfen Zutritt, unterrichtete den gerade die Lebensmittel-Vorräte überprüfenden Leiter des großen Betriebes über die Dringlichkeit seines Besuches.
»Frau Vukmirovic?«, fragte der Mann ungläubig. »Eine tüchtige Mitarbeiterin in der Küche. Sie arbeitet seit Jahren bei uns. Was soll sie mit der Polizei zu tun haben?«
»Das will ich gerade überprüfen«, antwortete Felsentretter. »Leider lässt sich die Sache nicht länger hinausschieben.« Er hoffte, sich eine längere Konversation zu ersparen, lief auf die Tür, hinter der er die typischen Küchen-Geräusche hörte, zu.
Der Mann schien zu begreifen, eilte hinter ihm her, murmelte irgendetwas von Hygiene-Vorschriften, bat ihn, an der Tür zu warten. Felsentretter folgte ihm trotzdem ins Innere, sah einen großen Raum mit mehreren parallel angeordneten spiegelblank glänzenden Küchenblöcken vor sich. Unzählige in weiße Arbeitskleidung gehüllte Frauen huschten hin und her. Es roch stechend scharf nach frischen Zitronen.
Felsentretter merkte, dass einige der Arbeiterinnen zu ihm herschauten, hörte das Rufen des
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