Schwaben-Sumpf
hinausschallte. »Lügen Sie mich nicht länger an!«
Die kleine Frau vor ihm schob sich einen weiteren Schritt zurück, schien völlig verängstigt. Ihr ohnehin schon bleiches Gesicht hatte jeden Ansatz von Farbe verloren. Er sah, wie es in ihr arbeitete, wartete auf eine Antwort.
»Dejan i Nenad«, hauchte sie, setzte irgendetwas ihm Unverständliches hinzu.
»Ja?«, schrie er.
Sie hielt sich am Metallrahmen einer Abstellplatte fest, fing plötzlich an zu weinen. Tränen kullerten ihr über die Wangen, ein heftiges Schluchzen erschütterte ihren Körper.
Felsentretter sah keine Veranlassung, sich vom Verhalten der Frau beeindrucken zu lassen, spürte seine wachsende Ungeduld. Die Masche war ihm zur Genüge bekannt. Wie in den schlimmsten Zeiten zu Hause, überlegte er. Sie sieht sich in die Enge getrieben und spielt mir was vor, markiert das arme, unschuldige, der männlichen Aggression wehrlos ausgelieferte Weibchen. Als ob ich der Böse wäre und sie das Opfer. Margit, seine Frau, hatte diese Show bis zur Perfektion eingeübt, glaubte jedes Mal aufs Neue, ihn damit auskontern zu können, nachdem sie ihn vorher mit ihren überspannten Ansprüchen und utopischen Erwartungen unablässig provoziert hatte. Mit mir nicht, dachte er, donnerte mit seiner Faust erneut auf den Tisch, machte einen Schritt auf die wimmernde Person vor sich zu.
Die Frau, die aus der Küche kommend auf ihn zuschoss, bemerkte er erst, als sie unmittelbar neben ihm stand. Sie war in dieselbe weiße Kittelschürze gekleidet wie seine Gesprächspartnerin, allerdings mindestens einen Kopf größer und weitaus kräftiger als diese. »Was Sie wollen von unsere Snezana?«, rief sie beherzt mit lauter Stimme.
Sie baute sich direkt vor ihm auf, einen metallenen Kochlöffel drohend in der Luft schwenkend. Ihr Deutsch war nicht weniger lückenhaft als das der anderen Frau, der fremde Akzent nicht zu überhören. »Unsere Snezana eine Anständige und Fleißige. Wenn Sie nicht verschwinden, ich rufen Polizei.«
Felsentretter warf der korpulenten Person einen überraschten Blick zu, winkte mit seiner Rechten ab. Sie hatte dicke rote Backen, trug eine große, mit einem breiten Rand eingefasste Brille. Er sah ein paar graue Strähnen aus ihrer Kopfbedeckung ragen, schätzte sie auf Mitte fünfzig. »Ich bin von der Polizei«, erklärte er dann, »mischen Sie sich gefälligst nicht ein.«
»Ihren Ausweis«, forderte die Frau, »zeigen Sie den Ausweis.«
Er glaubte, nicht richtig zu hören, runzelte die Stirn. »Hören Sie«, drohte er, »wenn Sie nicht sofort …«
»Den Ausweis!«, unterbrach sie ihn.
Er starrte sie verwundert an, schüttelte den Kopf. So viel Hartnäckigkeit hatte er der Alten nicht zugetraut. Er pfiff laut durch die Zähne, griff in seine Tasche, hielt ihr seine Legitimation so nahe vors Gesicht, dass sie nichts erkennen konnte. »Sie können lesen?« Seine Frage schallte laut durch die Küche.
Die Frau reagierte nicht auf seine Häme, zog ihren Kopf eine Handbreit zurück, las seine Daten dann vor. »Landeskriminalamt Baden-Württemberg. Hauptkommissar Felsentretter.«
»Zufrieden?»
»Wenn Sie freundlicher zu uns, ja.«
Felsentretter warf ihr einen wütenden Blick zu. »Und jetzt verschwinden Sie, aber schnell. Behindern Sie nicht länger meine Ermittlungen.« Er schob sie aus dem kleinen Raum in die Küche, schloss die Tür, nahm sich dann wieder seine ursprüngliche Gesprächspartnerin vor. »Zehn Sekunden«, sagte er mit drohendem Unterton, »wenn ich in zehn Sekunden nicht weiß, wo sich Ihre Söhne aufhalten, kommen Sie mit in mein Büro. Und dort bleiben Sie dann eine Weile.«
»Ich nix von hier weg«, flüsterte die Frau, »ich hier Arbeit.« Die Angst in ihrer Stimme war nicht zu überhören.
»Noch fünf Sekunden.«
»Dejan i Nenad«, hauchte sie, »heute müssen Arbeit.«
»Wie Arbeit?«, polterte er. »Die haben doch Schule.«
»Nix schimpfen. Heute nix Schule, müssen Arbeit. Brauchen Geld.«
»Brauchen Geld? Wozu? Die sind doch längst abgehauen nach Jugoslawien oder sonst wo hin, lüg mich doch nicht an!«
Snezana Vukmirovic schaute mit weit aufgerissenen Augen zu ihm auf. »Ich wissen, dass nix richtig, wenn Dejan i Nenad nix gehen in Schule. Aber Jungs wollen helfen Familie, deshalb Arbeit.«
»Arbeit, Arbeit.« Felsentretter war endgültig dabei, seine Geduld zu verlieren. »Jetzt sagen Sie mir endlich, wo sie sich versteckt haben!«
»Sie nix versteckt. Sie Arbeit bei meine Bruder. Haben Firma in
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