Schwaben-Wahn
aufzusuchen. Auch er hatte nach Auskunft Stefanie Herzogs deren Mann mehrfach bedroht, weil ihm auf die Empfehlung des ermordeten Psychologen hin der Führerschein entzogen worden war. Handelte es sich bei Meurer um einen Menschen ähnlich aggressiven Auftretens wie bei Wangbiehler?
Braig hatte die Haltstelle erreicht, schwitzte bereits nach wenigen Metern. Die Luft schien wie am Vortag wieder hochsommerlichen Temperaturen zuzustreben. Er sah die Stadtbahn kommen, suchte sich einen Platz, zog dann sein Handy vor. Kurz darauf hatte er den Mann in der Leitung. Er kündigte seinen unmittelbar bevorstehenden Besuch an, vernahm überrascht die freundlich vorgetragene Bereitschaft seines Gesprächspartners, ihm helfen zu wollen, soweit ihm dies möglich sei. Hatte Neundorf den Mann bereits bearbeitet oder war es pure Heuchelei, was er am Telefon abspulte?
Braig wechselte in Untertürkheim in die S-Bahn, fand in Plochingen in wenigen Minuten in die Fußgängerzone. Das Hundertwasser-Haus war mit seinen verspielten bunten Zinnen schon von weitem zu sehen. Mütter mit kleinen Kindern, ältere Frauen und Männer bevölkerten die leicht ansteigende Auto-freie Zone. Braig passierte die reich bestückten Schaufenster der Buchhandlung Linderer, entdeckte den unmittelbar dahinter abzweigenden Zugang zum Hundertwasser-Haus erst, als er schon ein paar Meter daran vorbeigelaufen war. Er kehrte um, stieg die Treppe hoch, hatte den weitläufigen Innenhof des eigenwillig gestalteten Bauwerks vor sich. Das Haus war als nicht komplett geschlossenes Rondell angelegt und beherbergte eine zweistellige Anzahl von Wohnungen. Geprägt von aufgelockert geformten Fassaden, verschnörkelten Vorsprüngen und bunt dekorierten Wandelementen bot es einen außergewöhnlichen Anblick. Sinnenfreude pur, schoss es Braig durch den Kopf, als er das Gebäude betrachtete.
Er wandte sich dem Klingelbord zu, fand den Namen, den er suchte, läutete. Der Türöffner wurde fast augenblicklich betätigt; Braig betrat das Treppenhaus, sah einen Mann in leicht gekrümmter Haltung im ersten Obergeschoss stehen. Er zeigte seinen Ausweis, nannte Namen und Beruf.
»Robert Meurer«, empfing ihn der Mann, reichte ihm die Hand, bat ihn dann in seine Wohnung. Sie war geschmackvoll eingerichtet; der Vorraum weiß gekachelt mit einem großen Spiegel in Form eines Fisches neben der Garderobe, das Wohnzimmer mit weißen Polstern, einer Glasvitrine und mehreren rahmenlosen Aquarellen an der Wand.
»Selbst gemalt?«, fragte Braig. Er deutete auf die Bilder, sah das Nicken Meurers.
»Meine Frau«, erklärte er, »es ist ihr Hobby.« Er bot ihm Platz auf einem Dreisitzer an, wies auf eine Wasserflasche, die auf dem runden Glastisch stand. »Möchten Sie gerne etwas trinken?«
Braig ließ sich ein Glas Wasser einschenken, beobachtete seinen Gastgeber, der das Gefäß abstellte und leicht hinkend zu dem gegenüber liegenden Sofa ging. »Sie wissen, weshalb ich komme?«
»Karl Herzog wurde ermordet«, antwortete Meurer. Er ließ sich etwas schwerfällig auf dem Polster nieder, drückte sein Bein zur Seite. »Ihre Kollegin hat mich gestern telefonisch darauf angesprochen.« Er hatte lange dunkle Haare, ein schmales, bleiches Gesicht, trug ein weißes Hemd und eine anthrazitfarbene Weste. Braig schätzte ihn auf Mitte dreißig.
»Sie haben ihn gekannt?«
Robert Meurer lachte. »Ich nehme an, Sie sind informiert, in welchem Verhältnis wir früher einmal zueinander standen.«
Braig nickte. »Sie wurden wegen Fahrerflucht verurteilt. Fünf Monate auf Bewährung. Anschließend ging es um Ihren Führerschein. Da kam Herzog ins Spiel. Aber Sie wissen das alles viel besser als ich. Sie können es mir genauer erzählen.«
»Das ist wahr.« Sein Gesprächspartner fuhr sich mit der Hand über sein linkes Bein, strich die Hose zurecht. »Sie kommen wegen meiner damaligen Drohungen gegen ihn. Richtig?«
Braig deutete ein leichtes Kopfnicken an, beobachtete sein Gegenüber.
Meurers Reaktion kam völlig überraschend. »Ich muss gestehen, ich habe eine schreckliche Vergangenheit hinter mir. Ich war ein widerlicher Mensch.«
Der Kommissar wusste nicht, wie er mit diesen Worten umgehen sollte, schaute ihn verwundert an. »In welcher Hinsicht?«
Die Antwort des Mannes ließ nicht lange auf sich warten. »In jeder.« Er schob sein Bein zur Seite, verzog sein Gesicht. »Zum Glück trat meine Frau in mein Leben. Sonst ...« Er ließ den Rest des Satzes offen, wartete ein paar Sekunden, bis
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