Schwaben-Wahn
umsprang, behauptete mein Informant.«
»Wieso versuchte sie uns dann weiszumachen, Meurer stelle immer noch eine Bedrohung für Karl Herzog dar?«
»Sie wollte von sich ablenken.«
»Uns möglichst viele andere Spuren präsentieren, damit wir sie selbst aus den Augen verlieren?« Neundorfs Verbitterung war deutlich in ihrer Stimme zu vernehmen. »Das könnte durchaus zu Frau Fischers Darstellung passen.«
»Du hast dich mit ihr über Stefanie Herzog unterhalten?«
»Das blieb nicht aus. Sie kennt die Familie seit Jahren, sieht die Schuld des Scheiterns der Ehe Karl Herzogs eindeutig auf Seiten seiner Frau.«
»Dabei muss aber die Frage erlaubt sein, ob Außenstehende Beziehungsprobleme anderer wirklich korrekt beurteilen können?«, warf Braig ein. »Immerhin handelt es sich dabei um intime Vorgänge.« Er durchquerte die Empfangshalle des Plochinger Bahnhofs, folgte den Stufen in die Unterführung.
»Ich würde Frau Fischer nicht als Außenstehend bezeichnen. Wie sie erzählte, pflegte Karl Herzog sich vor seiner Mutter und ihr auszuheulen, wenn er mit den Nerven fertig war. Sie gehöre zur Familie wie eine Verwandte, betonte sie. Und niemand, nicht einmal Zimmermann oder Wangbiehler hätten Karl Herzog so zugesetzt wie seine eigene Frau. Die Dame hat nach Frau Fischer nur ein Thema: Geld. Dass sie von ihren Veröffentlichungen lebe, wie sie uns weismachen wollte, sei absurd. Sie habe bisher, jedenfalls nach dem Wissen meiner Gesprächspartnerin, erst einen einzigen Artikel in einer Zeitung untergebracht und das in einem kleinen Lokalblatt – Karl Herzog brachte das oft genug zur Sprache. Nein, um ihren aufwendigen Lebensstil zu finanzieren, muss sie auf andere Erträge zurückgreifen. Und da gebe es für sie nur eine Quelle: Die Einkünfte und das Erbe ihres Mannes.«
»Herzogs Eltern betrieben einen Teppichhandel, wenn ich mich richtig erinnere.«
»Genau. Sie mussten vor einigen Jahren aufgeben, hatten es bis dahin aber offenbar zu einem ansehnlichen Vermögen gebracht. Mehrere Wohnungen und Häuser sollen ihnen gehören.«
Braig hatte die Unterführung passiert, kletterte die Treppe hinauf nach oben auf den Bahnsteig. Er sah einen roten Doppelstockzug einfahren, spurtete zur nächsten Tür, suchte sich einen Platz im Obergeschoss. Mehrere Passanten drängten sich an ihm vorbei durch den Gang. Er hörte, dass Neundorf etwas sagte, verstand nur den Rest ihres Satzes: »... Bedürfnisse zu stillen.«
»Verzeihung«, entschuldigte er sich, »ich konnte deine letzten Worte nicht hören, weil ich gerade in den Zug eingestiegen bin.«
»Kein Problem«, antwortete Neundorf, »ich erwähnte nur noch, dass es seit Jahren heftigen Streit gab, weil die Herzogs in immer kürzeren Abständen Wohnungen verkaufen mussten, um die vielfältigen Wünsche der Schwiegertochter zu finanzieren.«
»Dann konnte Stefanie Herzog aber doch nicht daran gelegen sein, sich scheiden zu lassen.«
»In der Tat nicht, nein. Sie wehrte sich auch mit Händen und Füßen dagegen. Wenn es nach Karl Herzog gegangen wäre, so erzählte es mir jedenfalls Frau Fischer, wäre die Sache schon längst unterschrieben. Er sei aber viel zu anständig gewesen, um die Scheidung gegen den Willen seiner Frau durchzuziehen. Er bot ihr sogar ein ganzes Haus an, es war ihr aber zu wenig. Auf den größten Teil des Besitzes hat sie im Scheidungsfall keinen Anspruch, er existierte bereits, als sie in die Familie kam. Von Zuerwerb kann also keine Rede sein – im Gegenteil, ein Teil wurde in den letzten Jahren verscherbelt. Es gibt nur eine Chance für Stefanie Herzog, sich das gesamte Vermögen einzuverleiben.« Neundorf schwieg, ließ Braig Zeit, zu überlegen.
»Nämlich?«, fragte er, schaute aus dem Fenster. Der Zug war losgefahren, preschte in hohem Tempo am Kraftwerk Altbach vorbei.
»Den Fall seines Todes«, erklärte seine Kollegin, »und unter der Bedingung, dass sie zu diesem Zeitpunkt nicht geschieden waren. Verstehst du, was das bedeutet?«
Braig pfiff leise durch die Zähne, wog den Kopf hin und her. »Sobald Karl Herzogs Mutter stirbt, fällt der gesamte Besitz an die Schwiegertochter?«
»So ist es. Ich habe Frau Herzog äußerst vorsichtig darauf angesprochen, nachdem mir Frau Fischer dies mitgeteilt hatte. Sie bestätigte den Sachverhalt.«
»Ihre Lebenserwartung dürfte nicht mehr allzu hoch sein.«
»Nein«, bestätigte Neundorf. »sie ist fünfundsiebzig.«
Braig spürte, wie der Zug bremste, sah, dass sie Esslingen erreicht
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