Schwaben-Wahn
halb im Scherz, fürchte er sich nicht mehr vor verrückten ehemaligen Patienten. Die einzige Angst, die ihn jetzt noch bewege, sei, von seiner eigenen Frau erschossen zu werden, so aggressiv wie die sich zeitweise gebärde. Aber zu seinem Glück sei er jetzt ja fast ständig weit weg im Ausland unterwegs, so dass diese Gefahr auf die wenigen Wochenenden zu Hause und zufällige Begegnungen dort beschränkt bleibe.«
11. Kapitel
Es war kurz vor eins, als Braig das Gebäude verließ und auf die Straße trat. Die warme Luft überfiel ihn schon beim ersten Schritt, ließ ihn die klimatisierten Räume der Bank schmerzhaft vermissen. Er spürte, wie ihm der Schweiß aus den Poren schoss.
Die Information über die von Stefanie Herzog besorgte Waffe und die Aussage Rollers, die Auseinandersetzungen zwischen den beiden Partnern hätten in der letzten Zeit eine solche Schärfe erreicht, dass sich der Ermordete von seiner eigenen Frau bedroht fühlte, erschien Braig so brisant, dass er direkt vor dem Eingang der Bank stehen blieb und Neundorf anrief, um sie davon in Kenntnis zu setzen. Er erreichte jedoch nur ihre Mailbox, bat sie, möglichst bald zurückzurufen. Stefanie Herzog war durch die Aussage Tobias Rollers weit stärker in Tatverdacht geraten als jede andere Person – Wangbiehlers undurchsichtige Eskapaden hin oder her. Die Ehefrau des Ermordeten hatte zudem auch das gewichtigste Motiv, ihren Mann zu beseitigen: Sein Tod war
die
Chance, an sein Vermögen zu gelangen, das eine Scheidung ihr ein für allemal vorenthalten hätte.
Er hatte sich für die freundliche Auskunft des Bankers bedankt, ihn dann noch um seine berufliche und private Telefonnummer für den Fall weiterer Fragen gebeten. Wer immer Karl Herzog ermordet hatte, er war lange vor dem eigentlichen Todeszeitpunkt bei seinem Opfer aufgetaucht und hatte es in seinen Gewahrsam gebracht – spätestens im Zeitraum zwischen neunzehn und zwanzig Uhr, anders war das ungewohnte Verhalten Herzogs nicht zu erklären. Schenkte man dann noch den Beobachtungen Olga Fischers Glauben, Karl Herzog habe schon mittags gegen fünfzehn Uhr aufgeregt und beunruhigt gewirkt, so musste man darauf schließen, dass er bereits zu diesem Termin bedroht wurde. War es seine eigene Frau, die ihm die Pistole an die Brust gesetzt hatte? War sie in Rage geraten, vielleicht weil er darauf gedrängt hatte, sich doch scheiden zu lassen, und hatte ihm mit der eigenen Waffe gedroht?
Braig blieb mitten auf der Brücke im Innenhof der Bank stehen, starrte auf die das Sonnenlicht reflektierenden Glasfronten über sich. Und wenn er sich täuschte, wenn die Drohungen nicht von der eigenen Frau stammten, auf welchem Weg hatte Herzog dann die beunruhigende Botschaft erreicht? Ein Anruf, überlegte er, ein Brief, der Besuch der ihn bedrohenden Person? Er wusste nicht, inwieweit Neundorf diese Möglichkeiten überprüft hatte, beschloss, seine Kollegin zu fragen, sobald sie einander trafen.
Eine Gruppe junger Männer, weiße Hemden, Krawatten, helle Sommerjacken lässig über dem Arm, kam ihm entgegen, schob sich an ihm vorbei die Fußgängerbrücke hoch. Braig spürte ein flaues Gefühl in seinem Magen, lief weiter. Er schaute auf die Uhr, sah, dass es zu einem kleinen Imbiss reichen würde, steuerte den nahen Hauptbahnhof an.
Die große Halle war gut besucht; Passanten eilten zu den Zügen, andere zum Ausgang oder zu den Geschäften, wieder andere standen wartend und die Umgebung beobachtend irgendwo in dem weitläufigen Areal. Braig lief zum Bäcker am Anfang der Markthalle, kaufte zwei mit Käse belegte Brötchen, einen Kaffee und eine Flasche Wasser, aß und trank im Stehen. Er spürte die Schmerzen hinter seiner Schläfe, fühlte das anschwellende Pochen unter dem Verband. Allzu lange konnte er diesen Zustand nicht mehr ertragen.
Er wischte seine Hände sauber, suchte eine Toilette, fuhr dann mit der S-Bahn nach Goldberg. Zehn Minuten vor zwei, er hatte das Haus Stefanie Herzogs fast erreicht, hörte er die verzerrte Melodie der Nationalhymne. Er beschloss, das Erkennungssignal des neuen Handy auszutauschen, sobald er die Zeit dazu fand, zog das Gerät hervor.
»Du wolltest mich anrufen«, sagte Neundorf, »gibt es Neuigkeiten?«
Braig blieb im Schatten eines Baumes stehen, berichtete seiner Kollegin, was er erfahren hatte.
Sie wirkte sofort elektrisiert. »Stefanie Herzog besorgte eine Pistole?« Er hörte, wie sie durch die Zähne pfiff. »Und du meinst, der Mann sagt die
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