Schwaben-Wahn
aus?«
»Ein Mitarbeiter einer Fluglinie sollte das Geld überbringen. In einem bestimmten Fahrzeug, einem weißen Passat Kombi und einem dunkelblauen Koffer einer genau definierten Marke und Größe, so lauteten die Bedingungen der Erpresser. Der Fahrer war aber in Wirklichkeit einer von uns.«
»Du kennst den Kollegen?«
Felsentretter schüttelte den Kopf.
»Woher bekam er seine Anweisungen, wohin er das Geld bringen sollte?«
»Per Handy.«
»Sie konnten die Erpresser nicht orten?«
»Das war Kochs große Idee. Dummerweise benutzten die Gangster unzählige Geräte, jeweils nur wenige Sekunden lang. Immerhin stellten die Kollegen fest, dass sie ihren Standort dauernd wechselten und die Handys allesamt gestohlen waren.«
»Koch hatte Sprechverbindung mit dem Kollegen?«
»Na klar. Acht zivile Fahrzeuge waren hinter ihm, aber kein Hubschrauber. Das hatten sich die Gangster extra verbeten. Sie drohten mit dem Abbruch der Aktion, falls sie aus der Luft beobachtet würden.«
»Wo fand die Übergabe statt?«
»In einem Waldstück bei Welzheim. Der Kollege stellte den Koffer dort am Rand eines Weges ab, wurde angewiesen, sofort weiterzufahren.«
»Und? Ließ Koch den Wald nicht abriegeln?« Braig roch den würzigen Duft des Kaffees.
»Doch. Sie sind immer noch dabei, stellen anscheinend jeden Baum auf den Kopf.«
»Der Koffer ist weg?«
Felsentretter schüttelte den Kopf. »Nein. Der steht dort, wo der Kollege ihn deponiert hatte.«
»Naja, dann ist wenigstens das Geld noch da«, meinte Braig. Er griff nach der Kaffeekanne, fragte den Kollegen, ob er ihm eine Tasse anbieten dürfe.
»Danke. Ich habe gerade zwei große Portionen in mich reingekippt.« Er lachte leise vor sich hin. »Das ist es ja: Der Koffer steht da, aber das Geld ist weg.«
Braig hielt mitten in seiner Bewegung inne, starrte Felsentretter an. »Wie bitte?«
Der bullige Kollege lief zum Schreibtisch, setzte sich mitten auf die Platte. »Das ist ja der Gag. Der Koffer ist da, aber ohne Geld.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Nicht nur du. So geht es im Moment allen, die an dem Unternehmen beteiligt waren. Ganz speziell dem Herrn Oberstaatsanwalt.« Er betonte den Titel, dehnte ihn in die Länge.
»Der Kollege, der am Steuer saß, ist nicht verschwunden?«
Felsentretter lachte laut. »Nein, so einfach ist die Sache nicht. Der Mann ist da. Der hätte keine Gelegenheit gehabt, das Geld wegzuschaffen, heißt es. Koch hatte die Verfolger in alle Himmelsrichtungen verteilt.«
»Dann möchte ich jetzt nicht in seiner Haut stecken.« Braig schenkte seine Tasse voll, stellte die Kanne zurück.
Felsentretter donnerte mit der Faust auf den Schreibtisch, erhob sich. »Nein, das würde ich dir auch nicht empfehlen. Obwohl ich es dem Kerl gönne. Fünfzigmillionen«, er pfiff durch die Zähne«, kein schlechter Fang.« Er winkte dem Kollegen zu, lief aus dem Raum.
Braig nippte an seiner Tasse, spürte, dass der Kaffee schon etwas abgekühlt hatte, trank langsam. Er dachte an die Aussagen des Kollegen, überlegte, was der leere Koffer zu bedeuten habe. Eigentlich gab es nur zwei Möglichkeiten, wie das Geld hatte verschwinden können: Entweder die Erpresser hatten ihn geleert und den Inhalt an sich genommen und waren dann auf raffinierte, bislang noch nicht bekannte Weise – vielleicht durch einen unterirdischen Gang, den sie vorher gegraben hatten – entkommen, oder ...
Braig wagte kaum, die Alternative wirklich in Erwägung zu ziehen. Sie war äußerst brisant, aber durfte er sie deshalb außen vor lassen?
... oder der Kollege oder einer der ihm unmittelbar folgenden Ermittler waren der Versuchung erlegen und hatten das Geld auf bisher unbekannte Weise an sich genommen. Fünfzigmillionen waren kein Pappenstiel, es handelte sich dabei um mehr, als er, Braig, sich überhaupt vorstellen konnte. Ein kurzer Griff und die Tür zum Schlaraffenland war aufgetan? Konnte da wirklich jeder widerstehen?
Er trank den Rest der Tasse leer, atmete tief durch. Eine Frage blieb: Selbst wenn einer der Kollegen es gewagt haben sollte, das Geld zu stehlen – wie hatte er es geschafft, es so zu verstecken, dass alle anderen es nicht finden konnten? Teamwork, gemeinsames Verbrechen?
Das Läuten des Handys riss ihn aus seinen Gedanken. Er hatte vergessen, die Rufumleitung vom Festnetz auszuschalten, nahm das Gespräch an. Die Stimme war ihm sofort bekannt.
»Ich muss Ihnen eine wichtige Mitteilung machen.«
Derselbe herrische Befehlston wie vor wenigen Tagen.
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