Schwaben-Zorn
mit Drogen zu versorgen, sie der Sucht auszuliefern, sie in eine Abhängigkeit zu treiben, wie sie brutaler auf diesem Erdball kaum möglich war, und ihr Dasein in eine tägliche Jagd nach dem nächsten Schuss zu verwandeln.
»Wir haben noch ganz andere Leute auf unserer Liste«, hatte Raffaela Kurz seine Gedanken unterbrochen.
»Die großen Dealer.«
»Die ganz großen: Steuerberater, Industriemanager, Banker aus den obersten Etagen. Leute mit dem besten Leumund. Die Creme de la Creme.«
Braig hatte den Rest seines Wassers getrunken, war sich mit der Serviette über den Mund gefahren. »Aber ihr kommt nicht an die Leute ran.«
Kurz hatte ihm einen deprimierten Blick zugeworfen, mit dem Kopf genickt. »Die Beweise fehlen, die endgültigen Beweise. Die Herren haben gute Anwälte und vor allem hohe Freunde – wehe, du machst den Mund auf, ohne alles zehnfach belegen zu können.«
»Du klingst nicht gerade euphorisch.«
»Nein, dazu gibt es keinen Anlass. Du glaubst nicht, wie viele Leute mit Rang und Namen auf unserer Liste stehen.«
»Und die Chancen, Beweise gegen sie vorlegen zu können, stehen nicht allzu hoch.«
»So wahrscheinlich wie ein Sechser im Lotto.«
»Meinl«, hatte Braig überlegt, »wenn wir dem Kerl unmissverständlich klarmachen, dass es jetzt nicht mehr nur ums Dealen geht, sondern um den Tod von Christina Bangler und Karen Rommel – nicht mehr Speed, Gras oder Koks, sondern um zweifachen Mord – und dass wir ihn dafür festnageln, vielleicht können wir ihn weich kochen.«
Kurz hatte für einen Augenblick still gehalten. »Deshalb habe ich vorhin seine Festnahme angeordnet. Er kommt mir heute Nacht nicht aus dem Büro, bevor er nicht unterschrieben hat. Entweder er oder der Doktor, das werde ich ihm deutlich machen.«
Georg Meinl hatte Ähnlichkeit mit allem, nur nicht mit dem Bild eines jahrelang tätigen, mehrfach vorbestraften Dealers. Braig hatte zweimal hinschauen müssen, um sich die gediegene Erscheinung, die sie freundlich lächelnd und mit einer höflichen Verbeugung im Vernehmungsraum des Drogendezernats empfing, als die Person zu vergegenwärtigen, die ihm als skrupelloser Drogenhändler angekündigt worden war. Ohne Raffaela Kurz an seiner Seite hätte er trotz aller Berufserfahrung an eine Verwechslung geglaubt.
»Gnädige Frau Hauptkommissarin, es freut mich, Sie wieder einmal zu sehen«, hatte Meinl Braigs Kollegin im breitesten Bayrisch begrüßt, ihr dann die Hand entgegenstreckt.
Der uniformierte Beamte an der Wand des Raumes hatte sich ein Grinsen nicht verkneifen können.
»Sparen Sie sich das Gewäsch, Herr Meinl«, war Kurz ihm entgegengetreten, hatte ihm dennoch die Hand geschüttelt.
Braig war seiner Kollegin gefolgt, hatte den Mann begrüßt, sich dann ihm gegenüber an der Breitseite des schmalen Tisches niedergelassen. Meinl verfügt über eine gewaltige Portion Charme, hatte Braig eingestehen müssen, noch dazu von einer Art, die ihm angenehm, auf keinen Fall anbiedernd erschien. Dazu strahlte der Mann seiner Auffassung nach Vertrauen aus, Seriosität, Glaubwürdigkeit – ganz der Typ, dem selbst kritische Zeitgenossen vom Staubsauger bis zur teuren Immobilie alles bedenkenlos abkaufen würden. Er hatte ein weißes Hemd mit schwarzen Stickereien auf der Brust getragen, dazu eine saloppe, cremefarbene Jacke und eine dunkelblaue Jeans, war wohl knapp über vierzig. Meinls Aussehen, sein Auftreten, seine Sprache – alles hatte zueinander gepasst. Er war freundlich im Ton, verbindlich in seiner Aussage – und war den Bemühungen der Kommissarin dennoch – selbst nach Mitternacht nicht – einen winzigen Schritt entgegengekommen.
Raffaela Kurz hatte charmiert, gelockt, erzählt und doch mehr und mehr gespürt, dass Meinl so nicht aus der Reserve zu locken, nicht einen Meter in die erwünschte Richtung zu bewegen war.
»Sie wissen, um wen es geht. Wir wissen es auch. Nur Ihre Unterschrift fehlt. Das ist alles«, hatte sie mehrfach erklärt.
Meinl war nicht auf ihr Locken eingegangen. »Ich verstehe einfach nicht, von wem Sie reden, Frau Hauptkommissarin.«
Später hatte sie die Maske fallen lassen, deutlich auf seine Verantwortung für den Tod der beiden Frauen abgezielt. »Zweifacher Mord, nicht Dealerei. Eines ist klar: Entweder er kassiert deswegen lebenslänglich oder Sie. Hier ist das Papier und der Stift. Unterschreiben Sie!«
Zwanzig Minuten nach Mitternacht hatten sie es aufgegeben, sich müde, ausgelaugt und von Wut und Zorn erhitzt aus dem
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