Schwaerzer als der Tod Thriller
Wandschrank.
In der Decke war eine Falltür mit einer herausziehbaren Leiter, die in einen abgetrennten Teil des Speichers führte. Er kletterte die Leiter hinauf und zog sie hinter sich hoch, dann schloss er die Falltür. Vom Speicher aus konnte er durch eine Dachluke aufs Dach klettern.
Schließlich war er an seinem Versteck angelangt. Er würde sich hinter den alten Kamin kauern, und niemand würde ihn von unten sehen können. Sein Vater käme nie auf die Idee, hier nach ihm zu suchen. Jedenfalls hatte er das noch nie getan.
Dennis saß eine lange, sehr lange Zeit dort, ihm war kalt, und er zitterte. Als sein Vater ihn geschlagen hatte, hatte er in die Hose gemacht. Seine Lippe war aufgesprungen, und er blutete am Kinn, aber das war ihm egal. Er dachte an nichts. Er dachte auch nicht daran, was unten im Haus passierte. Er starrte nur auf die mondbeschienenen Flecken auf den Ziegeln des Giebeldachs.
Nach einer halben Ewigkeit flog unten die Hintertür auf, dann hörte er seinen Vater im Garten nach ihm rufen und fluchen. Bald darauf ging sein Vater wieder nach drinnen, und ein paar Minuten später hörte er ihn in seinem Zimmer herumlaufen und immer noch fluchen.
Krachend und polternd durchsuchte sein Vater sein Zimmer, warf Möbel um, zerbrach Sachen und brüllte, er solle herauskommen. Aber Dennis rührte sich nicht, machte kein Geräusch. Er dachte nichts, und er fühlte nichts. Er fragte sich nicht, warum seine Mutter nicht nach ihm sah.
Nach und nach verklang der Lärm in seinem Schlafzimmer. Zeit verging. Dann hörte er die Hintertür zuknallen, und gleich darauf sprang der Motor eines Auto in der Einfahrt an. Der Minivan seiner Mutter. Er hörte sich im Vergleich zu dem Streifenwagen seines Vaters wie ein Spielzeugauto an. Vielleicht fuhr sie davon und kam nie wieder
zurück. Würde ihm das etwas ausmachen? Nein, das würde ihm gar nichts ausmachen.
Als das Auto weggefahren und endlich wieder alles still war, kletterte Dennis ein bisschen höher auf den Dachfirst, wo er bis zum Horizont sehen und sich selbst ganz weit weg wünschen konnte.
Von hier oben sah die Welt schön aus. Man sah nichts Böses. Man sah nichts Hässliches. Wenn man den Leuten abends ins Fenster guckte, dann sahen alle Familien froh und glücklich aus, jedes Kind wurde geliebt.
Wenn nur…
51
Samstag, den 12. Oktober 1985
1 Uhr 47 nachts
Karly war so oft in dem Raum herumgekrochen, dass sie längst den Überblick verloren hatte, an wie vielen Ecken sie vorbeigekommen war. Der Raum kam ihr lang und rechteckig vor. Links um die Ecke, links um die Ecke, links um die Ecke. Sie war wieder und wieder darum herumgekrochen - kriechen, ohnmächtig werden, ein Stück kriechen, ohnmächtig werden - und hatte einen Ausweg aus dieser Hölle gesucht, nur um zu erfahren, dass es keinen gab.
Sie war erschöpft, fühlte sich innerlich völlig leer, ihr war schwindlig und kalt, so kalt. Der Betonboden hatte jedes bisschen Wärme aus ihrem nackten Körper gesogen. Es war fast so, als wäre sie in den Boden gesunken, als wären Haut und Sehnen damit verwachsen, als hätten sie Wurzeln geschlagen. Sie hatte das Gefühl, sich nie mehr von dem Fleck, an dem sie lag, wegbewegen zu können. Vielleicht wäre es
das Beste, wenn sie aus der nächsten Ohnmacht nicht mehr aufwachte.
Die Verzweiflung übermannte sie. Sie lag da und stellte sich vor, sie würde weinen und Petal käme und würde ihre Tränen weglecken.
Schrecklicher Durst plagte sie. Ihre Kehle war wie zugeschnürt. Dann meldete sich ihr Instinkt, und sie fing an zu husten und zu würgen und gegen das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen, anzukämpfen.
Wenn ihr Peiniger sie nicht bald umbrächte, würde sie an Unterkühlung und Dehydrierung sterben. Sie würde jedenfalls nicht lange genug durchhalten, um zu verhungern.
Wenn sie nur genügend Kraft hätte, um aufzustehen, dann könnte sie sich vielleicht zu einem Wasserhahn oder einem Behälter mit Wasser vortasten. Wenn sie etwas getrunken hätte, könnte sie vielleicht klarer denken. Und wenn sie klarer denken könnte, könnte sie sich vielleicht gegen ihren Peiniger wehren. Und dann würde er sie vielleicht auf der Stelle töten und sie würde wenigstens bei dem Versuch, etwas zu unternehmen, sterben, statt wie ein in einem Käfig vergessenes Tier zu verrecken.
Karly sammelte den letzten Rest ihrer Willenskraft, zog die Knie an und rollte sich auf Hände und Füße. Mit verzweifelter Anstrengung stellte sie einen Fuß auf und
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