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Schwätzen und Schlachten

Schwätzen und Schlachten

Titel: Schwätzen und Schlachten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verena Roßbacher
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ehrlich, das wäre ihm ja ganz schnurzegal, was interessierte ihn dem Glaser seine Versicherungspolice.
    Er war einfach zu feige. Er hatte keinen Mumm, er war kein Kämpfer, in Liebesdingen eine ganz ungünstige Mischung.
    Es mangelte ihm an Aggressionspotenzial.
    Er lag auf dem Bett und schaute zur Decke, irgendwann würde sie herunterfallen, so viel stand fest. Der Verputz blätterte und er war sicher, die Risse waren seit heute Morgen merklich größer geworden, durchäderten die Wände, da und dort verstopfte Venen und sogenannte Besenreißer, Venen und Adern, führten ins Nichts, verödeten irgendwo. Irgendwann würde die Decke herunterkommen. Er hoffte, sie würde es nicht jetzt, und, murmelte er, während er sich auf die Seite drehte, auch nicht morgen. Übermorgen zum Beispiel.
    Er schaute aus dem Fenster, es regnete.
    Der Regen klopfte kindisch ans Fenster, murmelte in den Regenrinnen und traf sich begeistert in großen Wassertonnen, er mochte das. Er war schläfrig, diese zärtliche Nachmittagsschläfrigkeit baute ihn ab. Wenn er die Augen zumachte, glitt er sofort davon, flitzte durch Gänge wie Regenrinnen, er eilte dahin auf einer Art Eisrodel, schwappte so die gerundeten Wände hoch, dann wieder versuchte er sich zusammenzunehmen, machte die Augen auf und schaute angestrengt zur Decke. Um das Zimmer wäre es im Übrigen schade, es war ein hübsches Zimmer. Der Verputz, der bald mitsamt der Decke herunterkommen würde, war lindgrün. Eine, wie Dr. Huhn ihm einmal erzählt hatte, für psychisch labile Persönlichkeiten äußerst beruhigende Farbe. Ihn beruhigte die Farbe auch enorm. Er wusste nicht, ob er daraus auf seine eigene, psychisch labile Persönlichkeit schließen musste. Durchaus vorstellbar wäre ja, dass eine psychisch labile Persönlichkeit dezidierten Widerwillen, ja, regelrechte Abscheu gegenüber lindgrün getünchten Wänden empfand. Die Persönlichkeit, von Haus aus schon labil und dann auch noch das. Bei Linden, ja, in Zimmern, nein. Sie tobte und schrie, sie wollte ins gelbe Zimmer, ins rote, völlig egal, Farben gibt es doch weiß Gott genug. Gut verzurrt in eine Zwangsjacke, ins lindgrüne Zimmer gesetzt wie in ein Amselei gesperrt, wird sie sich allerdings sofort beruhigen. Ob sie dadurch das Lindgrün lieb gewinnt?
    Stanjic fand das eine interessante Frage. Es war ja eigentlich die Frage, ob die psychisch labile Persönlichkeit sich gerne beruhigt fühlt. Nicht unbedingt, oder? Es ist die Ruhe ungleich schwieriger auszuhalten als das unablässige Brausen der Welt, die psychisch labile Persönlichkeit, sie muss sich ihrer psychischen Labilität in der Ruhe umso deutlicher bewusst werden. Stanjic zog die Beine an und schlug einen Teil der Steppdecke über sich, er schaute aus dem Fenster. Regen war so fleißig, er selbst war so faul. Er dachte an die psychisch labile Persönlichkeit, aber ihm fiel keine ein. Er dachte an die Theorien der Farbe, an zartes Grün und Himmelblau, er dachte an Gelb. Er dachte an den Goethe’schen Farbkreis, er dachte an anthroposophische Sommerfeste mit Kaffee und Pflaumenkuchen und Kindern, die Gedichte tanzten, er dachte: Wichtel. Goethe hatte zu den Farben viel zu sagen, Goethe hatte beispielsweise gesagt: Gelb ist gut für Kinder und Kriminelle, Stanjic fand das hochgradig interessant. Die Kinder, die Kriminellen, was hatten sie womöglich alles gemeinsam? Teilten sie sich mehr als nur das K? Es war anzunehmen. Goethe hatte nichts von Köchen gesagt, von Klempnern und Kegelbrüdern. Kinder und Kriminelle, irgendwas gefiel ihnen am Gelb.
    Stanjic schaute träg ins Zimmer. So schönes Licht. Es machten, hatte ihm der Hausmeister im Goethehaus erläutert, es machten einerseits natürlich die feinen, sündhaft teuren Pigmente, andererseits aber die zu der Zeit geläufige Quarkbasis der Wandfarben diesen wunderbar kreidigen, puderigen Effekt, der machte, dass die Wände aufglommen und strahlten, allzu hartes Sonnenlicht brachen und in tausend kleine Teilchen zerstreuten.
    Er wurde immer schläfriger, flitzte immer wonniglicher durch die unendlichen Röhren, der Nachmittag flüsterte ihm was Ausführliches ins Ohr, rezitierte womöglich den west-östlichen Diwan, aber viel zu leise, um es genau zu verstehen. Der Nachmittag flüsterte zärtlich und lag ihm in den Ohren und baute ihn ab, er wickelte sich enger in den Bettüberwurf. So diffuse, vertröpfelte Tage, es war so herbstlich, er sank in den Nachmittag, er wähnte sich in Weimar, er sah den Kreis der

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