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Schwätzen und Schlachten

Schwätzen und Schlachten

Titel: Schwätzen und Schlachten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verena Roßbacher
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Farben, gesunde gelbe Zimmer, eine Aula voll mit sich wiegenden Waldorfschülern, er fühlte das Biedermeier, das erhebende Gefühl von Himmelblau, er schloss die Augen, jemand spielte Klavier. Unter dem west-östlichen Diwan, unter seinem Bett, aus der Tiefe grollte und plätscherte ein Klavier, unten aus einer Regentonne.
    Nein.
    Unten im Salon. Schon eine ganze Weile musste jemand Klavier gespielt haben. Er merkte jetzt, dass er schon seit geraumer Zeit typische Klaviermusikgedanken gehabt hatte. Das Biedermeier, Goethes Weimar, das schwebende Konzertieren verträumter Waldorfschüler auf ihrem Sommerfest, ihre Röcke und Zöpfe, gelbe Räume in Wischtechnik, ganz typisch. Er lauschte, jemand spielte ein Klavierkonzert von Beethoven, das er mochte. Ein Klavierkonzert exakt wie verhangene Regentage in verrockten Herrenhäusern und es gibt Tee und Gebäck und Menschen schauen melancholisch aus dem Fenster, rühren unendlich langsam in ihren Tassen und tragen gut geschnittene englische Anzüge. Ein sehr schönes, sehr inniges Klavierkonzert, jemand spielte elegisch auf dem Klavier, er dachte an die Aula, an die Zöpfe der Schülerinnen, an ihr schönes Haar, an die ungeheure Zopfdichte an anthroposophischen Anlässen, er dachte an Waldorf-Astoria und Waldorfsalat, er merkte, wie er wieder an Fahrt aufnahm, sich stromlinienförmig in die Rodel schmiegte und immer schneller wurde, die runden Wände entlangschlitterte, es ging immer tiefer nach unten, er gewann an Tempo, dachte an diese Waldorfsalate und an Klavierspiel wie weiße Zähne und Perlen, Klavierspiel, erstaunlicherweise mit Orchester.
    Er öffnete die Augen, als würde er eine Luke aufklappen. Eine Luke in diesem Kanal zum Beispiel, wo er so rasant unterwegs gewesen war, davonschlittern wollte in untergründige Träume, jetzt aber hatte er angehalten, er hatte über sich eine Luke entdeckt und sie geöffnet, oben herausgelugt, wie amerikanische Soldaten aus ihren Panzern, bloß war es hier eher ein Gullydeckel, den er auf dem Kopf balancierte, während er höchst erstaunt dem lustigen Treiben zusah. Er warf den Deckel von sich, stieg heraus in die Oberwelt und setzte sich auf.
    Er hörte ein perlendes Klavier, erstaunlicherweise mit einem gesamten Orchester. Und das alles unten im Salon, Wahnsinn, nein, Blödsinn, niemand spielte Klavier und er hatte keinen englischen Anzug, kein Stück Gebäck und keinen Tee in feinstem Wedgewood, jemand spielte Schallplatten unten im Salon.
    Er legte sich wieder zurück, schaute an das Astwerk der Decke, Beethoven, fünftes Klavierkonzert, hier kannte sich einer aus, haha! Er lachte träge und rieb sich die Augen, das ganze Gesicht und sagte mit verstellter Stimme, ist einfach das Einzige, das ich kenne.
    Er stand auf und suchte unter dem Bett nach seinen Schuhen, Scherz beiseite, sagte er, er schnürte sie zu und blieb noch ein wenig auf dem Bettrand sitzen. Musik war etwas Hinreißendes, sie machte eine Falltür auf, eine Luke ans Licht, sie machte eine Falte, einen Sprung in der Zeit und er fühlte sich von einem Moment zum anderen nach Teegesellschaft und Gurkensandwich, er hatte diesen unbändigen inneren Drang nach Dreiteilern und glatt rasiertem Kinn, sollte er sich endlich den Bart abnehmen? Er fühlte sich nach gepflegtem Kinn und gepflegtem Landadel. Er sah sich über zerzauste Hügel wandern, möglicherweise mit einem Jagdgewehr über der Schulter. Er fühlte sich nach Feldsäumen, er sah sich schrumpelige Äpfel in Körbe sammeln, genau gemacht, um malerisch vom Landadel aufgelesen zu werden. Der Landadel klaubte ihn von dunstigen Streuobstwiesen, betrachtete liebevoll jeden Einzelnen von ihnen, behauchte und polierte ihn am Strickpullover, um ihn dann zu den anderen in einen rustikalen Korb zu legen. Er dachte: saftige Erdschollen! Er dachte an allerfeinstes Wedgewoodporzellan, er dachte an englische Teekuchen, er dachte: Scones ! Clotted Cream ! Er dachte an Erdbeermarmelade und an das Wort Gamaschen. Assam. Drop of milk . Solche Sachen. Dinner. Er wurde putzmunter und wünschte, das Konzert möge nie enden. Er beugte sich übers Bett und grübelte in seiner Reisetasche nach einem Strickpullover, wieso hatte er keinen? Keine Cordhosen, kein Anzug, nichts. Unmut. Er betrachtete vergrämt seine Kleidungsstücke, kein einziges gefiel ihm. Er hatte auch keinen Morgenrock. Jeder, er hörte es Beethoven definitiv an, jeder englische Gentleman hatte einen Morgenrock, Paisleymuster. Er hatte nicht einmal eine

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