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Schwätzen und Schlachten

Schwätzen und Schlachten

Titel: Schwätzen und Schlachten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verena Roßbacher
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Vater haute hin und wieder mit der Faust auf den Tisch, dass die Suppe schwappte und die Tassen bebten, aber das merkte keiner, es fiel sowieso ständig was runter, ein Teller vom Tisch oder ein Kind von der Bank, ein Bild von der Wand. Er dachte an diese Eltern, die sich über den Tisch hinweg anblickten und dachten, sie wären im Irrenhaus, es waren Kinder, sicher, aber vielleicht waren es auch lauter Irre. Lauter Kriminelle! Das wars! Kinder und Kriminelle, es machte überhaupt keinen Unterschied, fängt auch beides mit K an, es war ein Verein von ausgelassenen Kegelbrüdern, die einen macht der Alkohol fidel, die andern aggressiv, genau so verhielt es sich hier, die einen Kinder sind fidel, die anderen nicht, laut ist beides.
    Die Eltern, sie blickten sich über den Tisch hinweg an, der Vater dachte an den frisch geweißten Flur, schüttelte den Kopf und sagte: Gelb, er blickte die Mutter über Tisch und Tumult hinweg an, sie legte die Hand ans Ohr, hier war kein Wort zu verstehen, er formte mit den Lippen das Wort gelb und die Mutter lachte und nickte, sie kannte die entsprechenden Theorien, die Experimente mit Farben, aber was nützte es, wenn alle Woche einer die Wände mit Kopffüßern und immer frohen Sonnen bemalte, Gelb verlangt nach teurem Pigment und Geld ist ein rares Gut in einer großen Familie, der Vater und die Mutter, sie kannten den Farbkreis und ihren Goethe. Weniger den vom Augenblick, verweile doch, du bist so schön, den sahen sie eher kritisch, dachte Stanjic. Würden die jeweiligen Augenblicke anhalten, sie könnten sich gleich die Kugel geben. Gottlob aber hatte Goethe überall seinen Senf dazugegeben, die Farbenlehre, sie fanden sie absolut einleuchtend und sie hätten gerne an Goethe gedacht, aber das war ein Luxus und sie wussten, sie waren im Irrenhaus. Ein Irrenhaus, dachte Stanjic, und: ob da Gelb noch was reißt? Eher nicht, oder.
    Er schaute die Eltern an und sie schauten ihn an und sie lachten sich zu, weil was soll man machen, weinen? Was hätte denn das Weinen je wem geholfen, man musste einfach weiterrennen, im Schweinsgalopp bricht sich ein Bein, wer über das ungeheure Tempo nachdenkt, man darf nicht nachdenken, man muss sich an den Händen fassen und weiterrennen und hoffen, dass einem die Puste nicht ausgeht, dass man irgendwann am Ziel ankommt, dass es ein Ziel gibt. Sicher ist das nicht.

91. Ich sollte wirklich den Verlag wechseln

    Katharina legte das Buch weg und drehte sich zu ihm herum, sie schauten sich an. Er merkte, dass er sie schon seit geraumer Zeit angestarrt hatte, er merkte, dass es ganz still geworden war, dass seit einer Weile das Konzert zu Ende war.
    Er hörte das leise Drehen der Scheibe auf dem Plattenteller, er hatte ein Déjà-vu der unangenehmen Art, er erinnerte –
    War das ein Erinnern? Viel eher vielleicht ein Switch, ein Schnips, urplötzlich das Gefühl und die Gewissheit seiner alten Küche in einem fernen fernen Land in einer uralten Zeit.
    Er erinnerte, nein, er fühlte und spürte und wusste in diesem Moment diesen Abend und seine Küche. Damals, im Krisengebiet.
    Ein schwieriger Abend, fortgeschrittene Trunkenheit, ein gekochter Hirsch und das dazugehörige Brimborium aus Kartoffeln und Preiselbeertamtam und das enervierende Trompeten auf dem Plattenteller. Eine Frau (die dumme Kuh, Anmerkung der Verfasserin), die, als sie sich endlich dazu bequemt hatte, nach Hause zu kommen, die Musik ausschaltete, um ihn hernach auch auszuschalten, ähnlich, wie sie den Plattenarm hob und die Nadel in der Luft hing. Ganz ähnlich, fand Stanjic jetzt, ganz ähnlich hatte sie ihn ausmanövriert und er war hilflos in der Luft gehangen und hatte die Füße nicht mehr auf den Boden bekommen. Da unten ging das Leben weiter, aber ohne ihn. Er hatte nach unten geschaut, aber es war zu tief gewesen zu springen, darum war er hängen geblieben und hatte dem Kreisen zugeschaut, dem Lauf der Welt.
    Vielleicht hatten irgendwann seine Arme nachgegeben und er war nach unten gefallen, hingeworfen und hineingeworfen in das übliche Getriebe und war wieder im Rennen, trötete seine kleine Melodie im kosmischen Singen.
    Na ja, so viel zu Déjà-vus, aber wollte er an ferne Länder denken, an Österreich und alte Zeiten, wollte er an erkaltetes Essen denken und eine Frau, die sich weiß Gott wo herumtrieb, wollte er an Klara denken?
    Nein. Er war froh, diese Zeit nur noch als Phantomschmerz zu erinnern, in den Armen, weil er war zu lange in der Luft gehangen, in den Beinen,

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