Schwätzen und Schlachten
hätte, weil was dann?
Weil.
Wenn es einen ruhigen Moment gibt. Wenn gelächelt wird. Wenn zwei wissen, worum es geht. Diese Stille beim Lächeln, dazu das bedeutungsvolle Knistern der Platte, die nur darauf wartete, wieder angeworfen zu werden und das Stück voranzutreiben, dass es weiterging, dass erzählt wurde, was erzählt werden muss, und er wusste plötzlich, die Musik war da und es war nur die Frage, ob man sie auflegen und spielen würde. Er wusste in diesem Moment, das Orchester war so weit, es stand in der Garderobe und rauchte und wartete darauf, dass der Dirigent bereit wäre für den zweiten Teil.
Aber der Dirigent. Was tat er. War er auf dem Weg zu seinen Musikern?
Nein.
Harrte er ihrer schon beim Bühneneingang? Nein. Saß er selbst noch in der Garderobe, puderte eine glänzende Nase, bereitete er sich irgendwie vor?
Eben nicht. Er hatte sich im Klo eingesperrt.
Er wusste, würde er abbrechen, hier und jetzt, würde er nach vorne gehen, vor das Publikum. Es würde ruhig werden. Es würden ihn alle ansehen und warten.
Sie würden sehen, er kommt ohne Taktstock, sie würden sehen, er hat nicht vor, hier und heute noch irgendwas zu dirigieren.
Es wäre still und er würde seine Augen über die Ränge schweifen lassen, übers Parkett und die Emporen, die erwartungsfrohen Gesichter, es würde das letzte Mal sein. Und er wusste, dass, würde er dann sprechen. Würde er dann sagen, dass das Konzert an dieser Stelle zu Ende sei. Dass der zweite Teil nicht folgen werde. Er wusste, dass er ein Gebrochener wäre, einer, der keine Kraft mehr hat und keinen Mut, er wäre einer, der aufgibt und sich feige zurückzieht.
Er wusste das, weil die Musik war geschrieben, ob sie nun gespielt wurde oder nicht, war einerlei, das Stück ging weiter und hatte seinen Verlauf, die Frage war nur, ob er ihn ging oder nicht. Ob er den Schwanz einzog. Ob er noch mutig war für die Welt und ihren unvermeidlichen Gang oder ob er sich ihr verweigerte.
Das alles wusste er, als er in den Waschräumen weilte, sich in die Augen schaute und überlegte, ob er zu alt wäre. Zu alt für das Auf und Nieder, die Eruptionen und tiefen Gefälle, ob er das noch einmal aushielte und immer und immer wieder, weil es niemals aufhörte, weil lebendig sein so unerhört anstrengend war.
Stanjic dachte an den Dirigenten, das Warten der Musiker, er dachte, dass er wusste, wie das Stück weiterging, er dachte, man konnte sich in der Toilette verstecken oder er müsste nur zurücklächeln.
Und er wusste, das würde er nicht aushalten, nicht jetzt. Diesen Moment, dass zwei wissen, worums geht. Er hatte nicht den Mut dazu. Zum Augenblick zu sagen, verweile doch, nichts würde er lieber tun, aber er konnte noch nicht.
Er wollte noch ein wenig in den Waschräumen verweilen, sich auf dem Klo verstecken. Nur noch – einen Moment.
Und ihm war klar, als er sinnierend in der Toilette saß, dass er lange nicht partizipiert hatte, in der Liebe und in der Welt, dass das Lächeln ihn wieder an Bord holte, auf hohe See und mitten hinein ins Konzert, ins ganze Gewoge, die Gefahr der Stürme und die Schönheit der spiegelglatten ruhigen See.
Manche waren Seemänner und manche verbargen sich im Klo.
Olaf lehnte lässig an der Theke des Liebling und erfreute sich an einem wiesengrünen Getränk und seinen verspiegelten Sonnenbrillen. Ich setzte mich neben ihn auf einen Hocker und betrachtete sein Glas, was soll denn das sein, fragte ich, ausgepresster Lifestyle?
Versuch bitte nicht, witzig zu sein, sagte er milde, so was liegt dir nicht.
Ich seufzte und bestellte mir das Gleiche. Es schmeckte gar nicht schlecht, irgendwie – aufregend, modern, regelrecht apokalyptisch.
Mein Lektor rührte ein bisschen darin herum, was sagt eigentlich Dr. Huhn zu Stanjics Meditationen an dieser Stelle, was diagnostiziert der Zaubermeister aus Vegas?
Weiß ich doch nicht.
Wenn du mich fragst, erklärte er, ist das hier der perfekte Beweis für meine Analthese. Anstatt dass er mit Katharina ins Bett hüpft, möchte er sich auf der Toilette verstecken, ein eindeutiger Hinweis auf seine Konfliktunfähigkeit und seinen Wunsch, als ewig Dreijähriger durchs Leben zu krabbeln.
Es fragt dich aber niemand, sagte ich.
Olaf nahm seine Sonnenbrille ab und betrachtete mich. Du bist beim Erlernen sozialen Miteinanders auch irgendwie hängen geblieben, oder?
Ich schlürfte den letzten Rest von meinem grünen Drink, und du, sagte ich, liest zu viel Wikipedia.
Er setzte seine
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