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Schwätzen und Schlachten

Schwätzen und Schlachten

Titel: Schwätzen und Schlachten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verena Roßbacher
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weil er war nach dem freien Fall zurück aufs Spielfeld das Laufen nicht mehr gewohnt, in den Lungen, denn da oben war die Luft dünn gewesen. Es hatte überall wehgetan und speziell in der Herzgegend, weil das war auch nur ein Muskel und den konnte man überstrapazieren.
    Er erinnerte, nein, er wusste und fühlte es in diesem Moment kurz und aufbäumend erneut als ein Hängen und die Angst davor, loszulassen und zu fallen. Er fühlte es wie einen Biss in den wichtigen Muskel und die anschließende, lange andauernde Betäubung, ein Schlittern, ohne irgendwas zum Sichfesthalten, es war nur ein Déjà-vu, es hatte ihn angesprungen und war so schnell wieder weg, wie es kam. Es war ein Phantom, ein kalter Hauch, ein kleiner Wirbel, ein Irrtum in den Zeiten. Hier kreuzten sich zwei Zeitebenen, überschnitten sich kurz und hart und verliefen sich dann wieder in den unendlichen Gefilden, es war nur ein Zufall, ein Moment, in dem die Dimensionen ein Loch hatten oder einen Sprung. Er hörte das Drehen der Scheibe auf dem Plattenteller und die Wege trennten sich wieder und er musste, jetzt, im Geradeeben, als würd ihn wer zwingen, eher an Katharina denken, Katharina, das ja, aber nur in verteufelt vertüpfelten Strümpfen und schlafend auf einem west-östlichen Diwan.
    Er versuchte, sich auf andere, unverfänglichere Bilder zu konzentrieren, aber es war schwierig.
    Er hörte das schleppende Ächzen der Schallplatte, er versuchte, an das Orchester zu denken und dass es jetzt eine Pause machte, die Hände in den Hosentaschen in der Garderobe herumstand, fachsimpelte oder Bratschistenwitze zum Besten gab, es gelang ihm nicht. Spätestens bei Garderobe dachte er an Balletteusen und Hochsteckfrisuren und schon war er wieder bei Katharina, bei ihrer Hochsteckfrisur, dem feinen Haar, das vorne an der Stirn aus der Frisur schlüpfte und als zarter Flaum die Stirn umflorte, schon musste er an die Stulpen denken und von da war es nicht weit zum Strumpf. Schon wollte er sich zusammenreißen und an harmlose Leggins denken und die übliche Montur der Tänzerinnen beim Training, aber er musste an die Tänzerin denken auf dem Bild und die diversen Stadien der Entkleidung, er musste an Katharina denken, die diversen Stadien der Entkleidung, dass sie irgendwann an einem Ziel ankam, denn wie viele Schichten trägt der Mensch, dass sie irgendwann entkleidet war, dass es unvermeidlich war, dass das einerseits schön war, dass das aber andererseits auch schlecht war, denn schlafend und entkleidet oder entkleidet und auch nicht schlafend interessierte sie ihn viel zu sehr, sie interessierte ihn entkleidet und zu entkleidend, er sah sie auf dem Diwan und sie schlief, er sah sie auf dem Diwan und sie machte die Augen auf, er sah sie in Ballettmontur und ohne, er sah sich höchstselbst die Ballettmontur abpflücken von ihr, er sah ihre Haare hochgesteckt oder auch nicht, er sah sich höchstpersönlich die Haarnadeln herausklauben, er dachte an die gestaute Hitze unter Haaren, das Knistern von getüpfelten Strümpfen, er dachte verzweifelt an Orchestermusiker, das Rauchen in der Pause, er dachte an Bratschistenwitze, aber fiel ihm irgendeiner ein?
    Kein einziger fiel ihm ein. Dabei gab es so viele, wie Bratschisten auf der Welt sind, eher mehr, es gab auf jeden Bratschisten mindestens zehn Witze und er hatte sich damit gebrüstet, sie alle zu kennen, aber keiner kam ihm in den Sinn, er dachte: Katharina.
    Er dachte: Bleib liegen und schau mich an, er dachte, bleib liegen und schlaf, ich schau dich an, er dachte, zieh dich aus oder ich zieh dich aus, er dachte, komm zu mir, nach dem Tanz, nach dem Hüpfen und Springen, komm mit einer Arabesque zu mir hergeflogen, komm zu mir, wenn Pause ist und das Orchester raucht, komm –
    Er stand auf, räusperte sich, ich habe gerade überlegt, sagte er.
    Ja? Sie lächelte ihn an.
    Stanjic dachte, dass zwischen Männern und Frauen auffällig viel gelächelt wurde.
    Wenn zum Beispiel, dachte er, zwei Männer sich unterhalten. Wenn ich mich mit Sydow unterhalte, mit Glaser, dann reden wir, ab und zu lachen wir, aber lächeln?
    Nie, ich könnte schwören, dass wir uns noch nie irgendwann zugelächelt hätten. Lächeln ist was zwischen Männern und Frauen. Lächeln ist so was wie eine Einladung.
    Ihm wurde es schandbar heiß, er spürte, wie er rot wurde, eine Einladung, bloß wozu? Sollte er zurücklächeln? Sollten sie hier sitzen und sich zulächeln?
    Er fand das ungeheuer intim, er wusste nicht, ob er den Mut dazu

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