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Schwätzen und Schlachten

Schwätzen und Schlachten

Titel: Schwätzen und Schlachten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verena Roßbacher
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dirigierend, den Chor der Sydows im Herzen zu galaktischen Höhen, zu sphärischem Schwelgen und himmlischem Tamtam.
     
    Jauchzet, frohlocket! auf, preiset die Tage, rühmet, was heute der Höchste getan! Lasset das Zagen, verbannet die Klage, Stimmet voll Jauchzen und Fröhlichkeit an! Dienet dem Höchsten mit herrlichen Chören, Lasst uns den Namen des Herrschers verehren!
     
    So viel dazu. Sie spielten, was die Literatur an festlichen Klängen hergab und das ist nicht zu knapp. Anschließend rekapitulierten sie ihre manniglichen Lieder auf die Familie, denn das hier war, allen Zweiflern zum Trotz, eine Familie und sie gehörte besungen, Die Mame! Die grüne Cousine! Es herrschte eine Bombenstimmung, und einmal geht noch, rief Onkel Jodok begeistert nach jedem Stück, er war ein Tanzbär, ein Salonlöwe, er war das rotnasige Rentier und noch in der Volltrunkenheit ein Musikfreund vor dem Herrn, dieses Lied von der Cousine, rief er, das hat mir gefallen, noch einmal!
    Das kann ich mir denken, murmelte Frederik Sydow erledigt, er fügte seiner Großmutter, im Walde schleichend mit ihrem Cousin Jodokus auf der Pirsch, rote Backen hinzu und strich sogleich das Schleichen und ersetzte es durch: springen. Cousine Auguste war nie gegangen, geschweige denn geschlichen, sie war immer nur gesprungen.
    Polonaise!, rief Tante Hildegard und wedelte freudig die Hüften und stupste Onkel Jodok neckisch an, wie gesagt, die kannten da nichts. Jodok war ein Salonlöwe und Tante Hildegard eine Partynudel, zusammen waren sie der Schrecken eines jeden Fetenmuffels, der Leib gewordene Albtraum eines jeden Festtagverweigerers, sie stupsten sich mit den Hüften und stoben auseinander, sie hüpften und eierten eifrig tanzend in die Knie und kamen wieder hoch, und das alles mit diesen schweren und behäbigen altdeutschen Leibern, die eher auf ein Bild von Bruegel gepasst hätten.
    Dazwischen trubelte der Rest, jeder Sydow konnte feiern bis zum Umfallen, es lag ihnen im Blut, Jodok und Hildegard mochten der nimmermüde Kern sein des allgemeinen Spektakelns, aber hier ließ sich niemand lumpen, Tante Inge vollführte mit konsequent adretter Frisur komplizierte Schrittkombinationen um sich selbst herum, ein Paar, dessen Namen Frederik nicht kannte, zog in einer flotten irischen Jig juchzend diagonal eine Schneise durch den Salon, Onkel Dagobert – Sydow war sich nicht sicher, es in dem Getümmel richtig auszumachen, ihm schien, Onkel Dagobert werfe mit hinreißender Leichtigkeit seine Oma in die Luft. Weihnachten, Fest der Stille und der Besinnung? Nicht im säkularisierten Osten, hier kann man ohne sich zu genieren Hotdog mampfend eine Kirche besichtigen und den Pfarrer ungestraft fragen, ob er unter dem Talar eine Unterhose trägt, hier kann man zum Lobpreis von Christi Geburt eine Polonaise veranstalten und keiner findet das bedenklich.
     
    Sie feierten bis in die Puppen, sie feierten, sagte Frederik von Sydow besinnlich, während er später, viel viel später, als alle endlich den Weg ins Bett gefunden hatten und er mit dem Akkordeon im Schoß noch im Schaukelstuhl schaukelte, bis in die Puppen.
    Onkel Hinne, der zähe alte Kämpfer gegen den kleinen Tod und das Versinken in Träume, vom Schlaf letztendlich übermannt, ja, regelrecht gefällt, lag schnarchend auf dem Sofa. Ansonsten war es ruhig, wunderbar ruhig, es roch nach Bienenwachs und Schießpulver, nach Lebkuchen und Kinderpunsch.
    Er spielte ein paar einzelne, zarte Töne. Das Weihnachtsoratorium, es ist wunderschön, es ist so festlich und heiter, es besingt des Heilands Geburt und den Anbruch einer neuen Zeit. Er schaukelte und schaute in das verglimmende Feuer im Kamin und fragte sich, was die Tage, die Wochen, was das kommende Jahr wohl bringen mochte.

113. Das Augenlicht meiner Oma

    Sie gingen über den Hof, es war sehr – huldvoll, Frederik wunderte sich selbst, was ihm da durchs Gehirn krauchte, er dachte, huldvoll, lobesam und zu Gott Gefallen. Das war es, was ihm zu diesem frühen Morgen, zu diesem Tag nach dem Weihnachtsfest einfiel. Das alles hatte nichts mehr damit zu tun, dass man das heutzutage nicht mehr sagte, ihm kamen alle grammatischen Kategorien durcheinander, alle grammatischen und auch alle anderen. Er fand, es war ein lobesamer Tag, es war Quatsch, aber er konnte nicht davon lassen.
    Jemand hatte Schnee geschaufelt, den gesamten Hof frei geschaufelt, vor bis zum Weg.
    David klinkte das Gattertor auf, wollte es aufschwenken, aber der Schnee stand

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