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Schwätzen und Schlachten

Schwätzen und Schlachten

Titel: Schwätzen und Schlachten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verena Roßbacher
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festgefressen hatte und anfing zu knuspern, und schloss die Tür wieder, klappte das Belüftungsscharnier auf.
    Nicht, sagte Sydow. Hast du ihr gesagt, dass ich sie dringend kennenlernen muss.
    Nein.
    Nicht. Hast du ihr gesagt, sie ist mein Leben, mein Traum, mein everything.
    Nein.
    Nicht. Hast du mit ihr über das Pferdestehlen geredet, das Kindermachen, meine Frisur? Hast du meine Frisur erwähnt.
    Deine Frisur ist ein Albtraum, da fehlen einem die Worte. Reden wir weiter über deinen Traum, das klang interessant.
    Das war gar kein Traum.
    Nicht.
    Es war ein Beispiel, sagte Sydow, wie es in einem Buch stehen könnte. Immer wenn dir wer in Büchern was von seinen Träumen erzählt, kannst du getrost weiterblättern, kein Mensch auf der ganzen Welt träumt so was, was dann in den Büchern steht. Es ist auch für den Fortgang in den Büchern total egal. Ich sage, ich träume so was, aber niemand träumt so was. Blätter mich einfach weiter. Ich glaube eher, Menschen träumen Dinge, für die sie gar keine Worte haben. Es ist einfach nur ein dilettantischer Versuch, was in Worte zu fassen, was man nicht in Worte fassen kann. Weil sie eben auch sonst immer alles in Worte fassen. Weil Menschen ständig schwätzen müssen. Ich glaube, Menschen müssen ständig schwätzen und träumen Unaussprechliches.
    Gut, ich werde es mir merken. Glaser räumte den Tisch auf, stapelte die Bücher auf einen Stuhl und warf die Zeitungen in die Kiste mit dem Feuerholz. Er nahm einen alten Brief von der Versicherungsgesellschaft, betrachtete ihn lange.
    Sieh an, sagte Sydow, was könnte das bloß sein.
    Hm, machte Glaser. Ein Brief.
    Ein Brief? Was könnte wohl darin stehen?
    Gute Frage, sagte Glaser.
    Sydow beugte sich hinüber, aha, die Versicherungsgesellschaft. Ob sie dir schon mal zu Weihnachten gratulieren?
    Im September? Schön wärs. Der ist eher noch von Ostern. Glaser steckte einen Löffelstiel ins Kuvert und riss ihn auf, las ihn durch.
    Traust du dich auch immer nicht, Briefe von der Versicherungsgesellschaft aufzumachen und durchzulesen?
    Hm.
    Du hast, Sydow griff sich das Kuvert vom Tisch, schaute auf das Datum, du hast seit fünf Wochen einen Brief von der Versicherungsgesellschaft, machst ihn nicht auf. Das Komische ist, dass du ihn aufmachst, jetzt, wo du nicht alleine damit sein musst, wo hier in deiner Küche alles normal und harmlos ist, da denkst du dir dann, es müsse der Brief von der Versicherungsgesellschaft auch normal und harmlos sein, jetzt, wo ein ganz normaler Besuch da ist und von ganz normalen Sachen redet –
    Hm!
    – von ganz normalen Sachen redet und dir damit vorgaukelt, es gäbe noch wen anderen auf der Welt als dich, und dir somit das Gefühl vermittelt, du wärest nicht allein mit den schrecklichen Nachrichten von der Versicherungsgesellschaft, ist doch so, oder? Wenn so ein normaler Typ wie ich ganz normal herumsitzt und vernünftig über ganz normale Sachen redet, denkst du, es könne nichts Schlimmes darinnen stehen, nicht wahr?
    Irgendwas hinkt an deiner Schilderung. Ich weiß nur nicht, was.
    Ich denke das auch. Ich nehme darum meine Post immer mit zu ganz profanen Orten, ich denke, bedeutende Schicksale treffen einen nicht an so unbedeutenden Orten. Die Bank oder mein Stromanbieter werden mir nicht vor einer Käsetheke mitteilen, dass sie mein Konto gesperrt haben und mich pfänden kommen oder mir endgültig und für immer den Strom abstellen.
    Hm.
    Und, steht was Schlimmes drin?
    Ja. Glaser knüllte den Brief zusammen, warf ihn in die Holzkiste. Darin steht, in meinem Alter sei Vorsorge die halbe Miete. Das ist schon schlimm. Vorsorge klingt schlimm und dass mein Alter plötzlich mein Alter sein soll, gefällt mir auch nicht. Darin steht weiter, ich solle Wassergymnastik machen. Das ist noch schlimmer. Und noch weiter: Holen Sie sich Filine die Schwimmnudel gratis in unserer Filiale ab . Das finde ich das Allerschlimmste.
    Sydow nickte, stimmt, sagte er. Da fühlt man sich mit uneingelösten Geldforderungen irgendwie noch in seiner Potenz getroffen. Aber so. Die Schwimmnudel. Schlimm. In deinem Alter.
    Glaser räumte die Kaffeedose mit dem Zucker auf den Tisch und trocknete zwei Löffel ab. Er zog seinen Pullover aus. Willst du nicht mal diesen Schal ausziehen?
    Nein. Sydow lehnte sich wieder zurück und knackte Nüsse. Die dümmsten Träume in Büchern sind ja die, die die Handlung weiterbringen wollen.
    Wir müssen nicht so viel über Bücher reden, wenn dich das so aufregt.
    Ich rege mich

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