Schwanengesang – DuMonts Digitale Kriminal-Bibliothek: Gervase-Fen-Serie (German Edition)
»Seien Sie still«, fuhr er den Apotheker an. »Und werden Sie nicht albern.« Der Apotheker stöhnte vor Angst und sprang in das Geschäft zurück. Höchst entzückt über seine bis dato unentdeckte Fähigkeit, einen Mitmenschen in Angst und Schrecken zu versetzen, spazierte Fen davon.
Adam war entsetzt, bei seiner Ankunft im Opernhaus bereits die Musik der Ouvertüre zu hören. Sie war zu zwei Dritteln vorüber, was, wie er ausrechnete, bedeutete, dass ihm höchstens noch drei Minuten blieben, um sich umzukleiden und die Bühne zu betreten. Eine aufgeregt durcheinander wuselnde Gruppe von Menschen kam ihm entgegen. Er bahnte sich einen Weg hindurch und rannte die Treppe hinauf, wobei er sich seinen Mantel vom Leib riss. Eine verspätete Chorsängerin erschrak, als er auf sie zustürzte und sich dabei die Hose aufknöpfte; sie drückte sich an die Wand und stieß zu ihrer Verteidigung kleine Schreie aus, bis er vorüber war. Fürs Make-up blieb keine Zeit – und das Kostüm legte natürlich jene boshafte Unhandlichkeit an den Tag, mit der jeder zu kämpfen hat, der sich in aller Eile be- oder entkleiden muss. Aber irgendwie wurde er fertig und raste wieder nach unten, um an seinem Platz zu stehen, als der vorletzte Akkord hinter der Vorhang erklang. Erleichtert winkte er Joan zu, und im selben Moment, in dem er diese großartige Geste machte – die den meisten Anwesenden im Publikum ein besonders unglücklicher Regieeinfall zu sein schien –, hob sich der Vorhang.
Fen fand eine Telefonzelle und rief Mudge an.
»Es tut mir leid, dass ich nicht zu Ihnen kommen konnte, aber ich hatte meinen Spaß.«
»Sie hatten Ihren Spaß?«
»Ich werde das später erklären … Ich möchte, dass Sie ein paar Männer hinter die Bühne ins Opernhaus schicken, da möglicherweise jemand den Versuch unternehmen wird, Langley zu ermorden.«
» Langley ?«
»Ja. Und kommen Sie selbst dorthin, so schnell Sie können. Übrigens wird man Ihnen meinetwegen bald Bericht erstatten. Ich habe ein Fenster eingeworfen und einen Apotheker mit einer Schusswaffe bedroht.«
» Eingeworfen ?«, fragte Mudge verwirrt. »Apotheker?«
»Hören Sie auf damit, mich ständig zu wiederholen … Wir sehen uns später. Wir sollten nach der Vorstellung besser eine geheime Sitzung abhalten. Und bringen Sie doch bitte das Skelett mit, ja? Oder zumindest irgendein Skelett.«
Er hängte ein und lief zum Opernhaus, wo er den ersten Akt von den Kulissen aus verfolgte. Ganz offensichtlich verlief die Aufführung ohne Probleme. Mudges Männer trafen kurz nach ihm ein, und er klärte sie über bestimmte Eventualitäten auf. Der Inspektor, sagten sie, könne erst später kommen.
Als der Akt vorüber war, entlockte Fen, nachdem er einem fröhlichen und erleichterten Ensemble gratuliert hatte, Adam eine Information. Aufgrund dieser durchsuchte er später eine Garderobe und nahm, nachdem gefunden war, was er erwartet hatte, ein Taxi nach Hause, wo er sich »auf den Dachboden« – sein improvisiertes Labor – zurückzog, um bestimmte Experimente durchzuführen. Seine Familie, die aus Erfahrung gelernt hatte, dass Fens Versuche manchmal mit einer Explosion, immer aber mit Gestank einhergingen, zog sich zur gegenseitigen Tröstung und Beruhigung in die Küche zurück.
Ungefähr zwei Stunden lang hantierte Fen mit Salzsäure, Wasser, einem Stück Kupferfolie, einem Bunsenbrenner und einem Destillierkolben herum. Schließlich untersuchte er das Ergebnis seiner Bemühungen unter dem Mikroskop und stellte zufrieden, wenn auch kaum überrascht, fest, dass er mit seiner Theorie richtig gelegen hatte. Er kam gerade noch rechtzeitig in die Oper zurück, um jenen Zwischenfall zu beobachten, der Mr. Levi dazu zwang, einem Schlaganfall nahe und in mehreren unbekannten Sprachen fluchend hinter die Kulissen zu eilen.
Die verbleibende Spielzeit der Oper betrug in etwa noch zwanzig Minuten. Adam schmetterte gerade das herrliche Preislied, als ihm während einer der kurzen Momente, in denen der Chor ihn unterbricht, auf seltsame Weise bewusst wurde, das irgendetwas nicht stimmte. Er riskierte es, einen Seitenblick in die Kulissen zu werfen und sah, dass ein Revolver auf ihn gerichtet war.
Was nun folgte, überraschte das Publikum ganz außerordentlich. Anscheinend war Herrn Walther von Stolzing nachträglich klar geworden, dass die Ehe mit Eva wohl doch nicht die hinreißende Erfahrung sein würde, die er sich so unbekümmert vorgestellt hatte; so brach er sein Preislied nach
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