Schwanengesang – DuMonts Digitale Kriminal-Bibliothek: Gervase-Fen-Serie (German Edition)
auch das Gas hatte seine volle Wirkung nicht entfalten können, da es Dank eines Defektes in dem Ofen nur sehr langsam hatte ausströmen können. Aber Adam war äußerst übel. Sie stützten seinen Kopf, während er sich übergab.
»Sich umbringen wollen«, sagte der kleine Mann vorwurfsvoll. »Unchristlich is’ das.
Denken Se mal an all die schönen Vögel«, fügte er ermutigend hinzu, »und all die schönen Bäume und verdammten schönen Atombomben, und all die Sachen, für die es sich zu leben lohnt.« Nachdem er Adam diesen Rat gegeben hatte, ging er.
Die Tatsache, dass man Adams Abwesenheit im Opernhaus erst bemerkte, als die Ouvertüre schon begonnen hatte, war an sich nicht weiter verwunderlich; ging man doch, soweit man sich überhaupt Gedanken darüber gemacht hatte, im Allgemeinen davon aus, er sei unbemerkt eingetroffen und direkt in seiner Garderobe verschwunden. Am Ende war es Joan, die die Nachricht verbreitete. Nachdem der Ruf des Inspizientengehilfen – »Erster Akt, erster Auftritt, bitte« – sie aus einem angenehmen Tagtraum geweckt hatte, warf sie auf dem Weg nach unten einen Blick in Adams Garderobe, stellte fest, dass diese leer war, dachte einen Moment, er wäre zur Bühne vorausgegangen, und entdeckte dann sein Kostüm für den ersten Akt, das ordentlich über eine Stuhllehne drapiert war. Dieser Anblick ließ sie in Panik die Treppe hinunter- und auf Karl Wolzogen zustürzen.
»Karl!«, rief sie. »Wo ist Adam?«
Zunächst begriff er den Sachverhalt nicht. »Woher soll ich wissen, wo er steckt?«, fragte er gereizt.
»Du verstehst nicht … Er ist nicht im Opernhaus .«
»Was?« Karl war ungläubig, alarmiert.
»Er ist einfach nicht hier.«
Für einen Augenblick starrte Karl sie verständnislos an. » Lieber Gott «, flüsterte er. »Was sollen wir tun?«
»Das ist mir egal«, sagte Adam dickköpfig. » Ich muss hingehen und singen.«
Fen versuchte, ihn davon abzubringen. »Nach dem, was du gerade durchgemacht hast«, sagte er, »wird es dir ziemlich unmöglich sein, brüllend eine fünfstündige Oper durchzustehen.«
»Ich muss es zumindest versuchen.«
»Na gut, wenn du darauf bestehst … Übrigens, du hast nicht zufällig die Person erkannt, die dich niederschlug?«
»Nein.«
»Das dachte ich mir«, sagte Fen unverzagt. »Aber Fragen kostet ja nichts.« Er bemerkte, dass auf der anderen Straßenseite eine Apotheke war, und dass sie noch geöffnet hatte. »Komm mit«, sagte er und nahm Adam beim Arm, »ich besorge dir ein Mittelchen, damit du durchhältst.«
In dem kleinen, vollgestopften Laden war nur der Apotheker selbst zugegen, ein kahlköpfiger, dickbäuchiger, misstrauischer Mann mittleren Alters.
»Mischen Sie das an«, sagte Fen und ließ dann einige Fachausdrücke fallen. Seine naturwissenschaftlichen Kenntnisse waren, wenn auch lückenhaft, vielseitig und gelegentlich hilfreich.
»Haben Sie ein vom Arzt ausgestelltes Rezept, Sir?«
»Nein.«
»Ich fürchte, dann kann ich nichts für Sie tun.«
»Oh doch, das können Sie«, sagte Fen und holte seine Pistole hervor. »Und wenn Sie nicht sofort damit anfangen, werde ich Ihnen, was wirklich fürchterlich wäre, in die Lunge schießen.«
Der Apotheker wurde sehr bleich und hob die Hände.
»Darum hatte ich Sie nicht gebeten«, sagte Fen missgelaunt. »Wie wollen Sie ein Mittel anrühren, wenn Sie in dieser Position dastehen?«
Er beobachtete den Apotheker und gab dann und wann eine Anordnung, während der Mann sich an die Arbeit machte. Das Endergebnis bestand in einer farblosen Flüssigkeit in einem kleinen Glas, das Fen Adam überreichte. Adam, der sich bis zu diesem Punkt viel zu gut amüsiert hatte, um Fens merkwürdige Strategie zu hinterfragen, verlor nun das Vertrauen.
»Ist das Zeug auch ungefährlich?«, fragte er.
»Vollkommen. Und beeil dich, um Himmels Willen. Jetzt ist es schon fast halb sieben.«
Adam nahm all seinen Mut zusammen und schluckte das Gebräu herunter. Fast augenblicklich fühlte er sich besser.
»Ich bete zu Gott«, sagte er, »dass man mein Fehlen frühzeitig bemerkt hat.«
»Nimm das Fahrrad meiner Frau«, schlug Fen vor. Er steckte die Pistole wieder in seine Tasche und ging mit nach draußen, um Adam davonradeln zu sehen.
Einen Moment später erschien der Apotheker im Eingang seines Geschäftes. Zunächst bemerkte er gar nicht, dass Fen sich noch in unmittelbarer Nähe aufhielt.
»Hilfe, Hilfe«, sagte er zu einem verwunderten Passanten. »Hilfe!«
Fen war verärgert.
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