Schwanengesang – DuMonts Digitale Kriminal-Bibliothek: Gervase-Fen-Serie (German Edition)
eigentlich hingegangen?«
»Oh, wir ließen ihn zu keinem Zeitpunkt allein«, sagte der Meister unschuldig. Dann huschte ein Schatten der Verärgerung über sein Gesicht. »Da haben Sie’s – das hätte ich jetzt nicht sagen dürfen.«
»Wieso nicht?«, fragte Fen, plötzlich misstrauisch geworden.
»Weil ich es Wilkes versprochen habe«, sagte der Meister naiv. »Er rief mich morgens an, einen Tag, nachdem mein Bruder gestorben war, und bat mich ganz ausdrücklich darum, auszusagen, ich hätte ihn kurz vor dem Mord allein gelassen. Ich gebe zu«, fuhr der Meister bedrückt fort, »dass mir seine Motive nicht einleuchteten, aber er war so hartnäckig, dass es unhöflich gewesen wäre, seine Bitte abzulehnen. Ich glaube, er erwähnte noch, dass es dazu beitragen würde, Sie zu verwirren, obwohl ich nicht ganz verstehe, wozu …«
»Ich verstehe«, erwiderte Fen, von einer tiefen, unbeschreiblichen Gefühlsregung ergriffen, » ich verstehe .«
»Aber bevor Sie sich verabschieden, mein lieber Freund«, sprach der Meister weiter, »müssen wir uns noch über die New Yorker Inszenierung meiner Orestiade unterhalten.«
»Mittlerweile müssten Sie doch begriffen haben, dass ich kein Agent der Metropolitan Opera bin.«
»Ach, wirklich nicht?« Der Meister schien betrübt. »Nun gut, sei’s drum. Ich nehme an, dass sie für den Job einen Jüngeren gesucht haben. Vielleicht habe ich ja beim nächsten Mal mehr Glück.« Seine Miene heiterte sich auf. »Ich sage Ihnen aber, was ich tun werde. Ich werde Ihnen gestatten, mir Ihr kleines, hübsches Auto zu verkaufen.«
Jedem, der am folgenden Vormittag vor der Lunchzeit die Bar des »Mace and Sceptre« durchquert hätte, wären die drei Menschen aufgefallen, die an einem Tisch in der Ecke saßen. Die zierliche, dunkelhaarige junge Frau hielt ein geöffnetes Notizbuch und einen Bleistift in der Hand, und ihr Gesicht hatte einen unnatürlich ernsten Ausdruck. Der jüngere der beiden Männer saß da und betrachtete glückselig seinen Bierkrug. Und der dritte in der Runde war ein hochgewachsener, schlaksiger Mann mit geröteten, glatt rasierten Wangen und dunklem Haar, das ihm in widerspenstigen Stacheln vom Kopf abstand. Er hielt ein Glas Whisky umklammert, hatte vor Konzentration die Stirn in Falten gelegt und war anscheinend gerade dabei, einen orakelhaften Ausspruch zu tun. Er sagte:
»Die Ära meiner größten Erfolge …«
Nachwort
Golden Age – das Goldene Zeitalter des Detektivromans – heißen bei Freunden und Kennern des Genres die Dekaden von den zwanziger bis zu den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, in denen sich das »mystery«, das Mordrätsel, die analytisch erzählte Verbrechensgeschichte zu einer Kunstform sui generis entwickelte. An ihren Anfängen in den Zwanzigern standen Agatha Christie, Dorothy L. Sayers, S. S. Van Dine, Ellery Queen und andere, die sich in unterschiedlichster Weise darum bemühten, die Form aus den Niederungen des Sensationellen, wofür damals weltweit die Namen Edgar Wallace und E. Philips Oppenheim standen, zu heben und zu einem intellektuellen Vergnügen zu machen.
Vorangegangen war zweifellos der Welterfolg von Sir Arthur Conan Doyles Sherlock Holmes-Geschichten, deren letzte Sammlung erst 1927 erschien. Sie standen jedoch dem Sensationellen noch näher als dem Intellektuellen, dem sich das Genre endgültig mit dem Fairness-Gebot verschrieb – der Detektiv durfte für seine Lösung keine Information benutzen, die dem Leser nicht zuvor ausdrücklich bekannt gemacht wurde. Auf dieser Basis schuf Agatha Christie ihre sauber konstruierten Mordpuzzles, Dorothy L. Sayers ihre Gesellschaftsromane mit detektivischem Interesse und S. S. Van Dine seine outrierten Mordrätsel nach Kinderversen (»Der Mordfall Bischof«), Handbüchern der Kriminalistik (»Der Mordfall Greene«), indianischen Legenden (»Der Mordfall Drache«, DuMonts Digitale Kriminal-Bibliothek) oder in verschlossenen Räumen (»Der Mordfall Terrier«, DuMonts Digitale Kriminal-Bibliothek). Und es erstand jene unvergessliche »Galerie der Detektive« – so der Titel des schönen Buchs von Heiko Postma und Rainer Wagner – von Hercule Poirot über Lord Peter Wimsey und Philo Vance hin zu Ellery Queen, die zusammen mit ihrem Urbild Sherlock Holmes bis heute definieren, was ein Detektiv ist.
Der Letzte in dieser illustren Reihe der Ritter vom Goldenen Zeitalter war Edmund Crispin alias Robert Bruce Montgomery. 1921 geboren, war er fast exakt so alt wie das
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