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Schwanengesang (German Edition)

Schwanengesang (German Edition)

Titel: Schwanengesang (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Hoppert
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Wenn ich in sein Büro gehe, bemerkt er mich manchmal gar nicht. Er sitzt einfach da und starrt gegen die Wand. Minutenlang. Ich traue mich dann gar nicht, ihn zu stören, und gehe wieder raus.«
    Marc atmete hörbar aus. Dass die Probleme seines Freundes so groß waren, hatte er nicht gewusst.
    »Darf ich Sie auch mal was fragen?«, unterbrach die Sekretärin seine Gedanken.
    »Klar, was immer Sie wollen.«
    »Haben Sie eine Ahnung, warum Herr Wagner mich immer ›Sly‹ nennt?«
    Obwohl ihm nicht danach zumute war, musste Marc grinsen. »Darf ich fragen, wie alt Sie sind?«
    »Vierundzwanzig, wieso?«
    »Weil Sie dann zu jung sind, um die Antwort zu kennen. Sly Lovegren war die Sekretärin von J. R.«
    » Wessen Sekretärin?«
    Bevor Marc antworten konnte, öffnete sich die Bürotür und Gabriel kam mit einem älteren Paar heraus. Der Rechtsanwalt schüttelte den beiden zum Abschied die Hand. »Ich schreibe das dann wie besprochen«, sagte er. »Machen Sie sich keine Sorgen!«
    Nachdem das Paar die Kanzlei verlassen hatte, wandte er sich Marc zu. »Welch seltener Gast«, flötete er. »Was kann ich für dich tun?«
    »Ich fürchte, das ist eine längere Geschichte.«
    »Dann immer rein in die gute Stube.« Gabriel trat beiseite. »Keine Anrufe«, wies er seine Sekretärin an, während er die Tür hinter sich schloss.
    Erst jetzt fiel Marc der Gipsverband am Mittelfinger von Gabriels linker Hand auf.
    »Wie ist das denn passiert?«, fragte er.
    »Das?« Gabriel hielt seine Hand hoch und betrachtete sie, als sehe er die Schiene zum ersten Mal. »Übel gequetscht. Wenn ich dir einen guten Rat geben darf: Trink nie mehr als sechs Bier, bevor du eine Tür schließt.«
    Gabriel schien es ziemlich leicht zu nehmen, aber Marc machte sich immer mehr Sorgen um seinen Freund. In letzter Zeit trank er erheblich mehr, als er vertragen konnte, und auch jetzt überdeckte das Minzbonbon nicht vollständig seine leichte Alkoholfahne. Aber momentan hatte Marc andere Probleme.
    Er ließ sich in einen der Besucherstühle fallen. Gabriels Büro war etwa so groß und auch genauso zweckmäßig eingerichtet wie seins, allerdings gab es hier noch einen kleinen Nebenraum mit Kochnische, der mit einem dunklen Vorhang vom eigentlichen Büro abgetrennt war.
    »Schieß los, mein Freund«, sagte Gabriel nur, nachdem er sich gesetzt hatte.
    Marc gab ihm eine Zusammenfassung des Besuchs der beiden Polizisten.
    Als er fertig war, starrte Gabriel ihn fast eine halbe Minute an, dann seufzte er: »Warum hast du nicht einfach auf mich gehört?«
    »Diese Bemerkung ist jetzt nicht sehr hilfreich«, erwiderte Marc gereizt. »Mittlerweile bereue ich es auch, das kannst du mir glauben. Aber für derartige Überlegungen ist es jetzt zu spät.«
    Gabriel nickte düster. »In der Tat. Aber vielleicht wäre das ja mal ein Anlass, zukünftig meine Ratschläge zu befolgen.«
    »Genau aus diesem Grund bin ich hier«, versicherte Marc.
    »Wollen wir es hoffen. Okay, Rat Nummer eins: Du brauchst einen Anwalt!«
    »Du bist hiermit engagiert.«
    Gabriel kniff die Augen zusammen. »Ich weiß nicht«, antwortete er langsam. »Ich bin eher ein Harvey Smithfield als ein Scotty Demarest. Mit anderen Worten: Was du brauchst, ist kein allgemeiner juristischer Berater, sondern ein Spezialist für Strafrecht.«
    »Vielleicht brauche ich im Moment aber eher einen Harvey Smithfield«, versuchte Marc seine Bedenken zu zerstreuen. »Jemanden, dem ich hundertprozentig vertrauen kann. Bis zu einem möglichen Prozess ist es ohnehin noch ein langer Weg. Also, wie sieht es aus? Übernimmst du die Sache?«
    »Ja«, sagte Gabriel nur.
    Marc versuchte, sich seine Erleichterung nicht anmerken zu lassen. »Also weiter im Text«, fuhr er dann fort. »Wie sieht die Sache aus deiner Sicht aus? Geht es jetzt wirklich um Mord?«
    Gabriel zögerte keine Sekunde. »Natürlich. Ich sage nur: Sirius.«
    Marc hatte mit dieser Antwort gerechnet. Mit dem berühmten ›Sirius-Fall‹ machte jeder Jurastudent spätestens im zweiten Semester Bekanntschaft. Der Fall hörte sich unglaublich an, hatte sich aber genauso in den Siebzigerjahren des zwanzigsten Jahrhunderts in Deutschland ereignet: Ein Mann hatte einer jungen Frau eingeredet, er sei ein Bewohner des Planeten Sirius. Die Sirianer hätten ihn mit dem Auftrag zur Erde gesandt, dafür zu sorgen, dass einige wertvolle Menschen, darunter die junge Frau, nach dem Zerfall ihrer Körper mit ihrer Seele auf Sirius weiterleben könnten. Vorher sei es

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