Schwanengesang (German Edition)
abgestimmt hätten, bevor Sie ein Ermittlungsverfahren einleiten.«
Zu Marcs Erstaunen behielt Templin sein Grinsen bei. »Das haben wir, Herr Hagen«, erwiderte er. »Und nicht nur das! Die Staatsanwaltschaft ist wegen dieser Sache an uns herangetreten, nicht umgekehrt. Aber vielleicht sollten wir uns die Aufnahme zuerst einmal gemeinsam anschauen, damit wir auch wissen, worüber wir eigentlich sprechen.«
»Das dürfte in der Tat das Vernünftigste sein.« Marc drehte seinen Laptop mit dem Bildschirm zur anderen Seite des Schreibtisches. »Danach können Sie sich bei mir entschuldigen.«
Während Marc Templin dabei zusah, wie dieser die DVD in den Laptop schob und das Abspielen der Aufnahme vorbereitete, schossen ihm tausend Gedanken gleichzeitig durch den Kopf. Was wollten die beiden von ihm? Selbst wenn die Polizei – wie auch immer – in den Besitz der Aufnahme von Johanna Reicherts Tod gekommen war, war ein Straftatbestand weit und breit nicht ersichtlich. Trotzdem schienen sich diese Kommissare ihrer Sache sicher zu sein. Und offenbar kamen sie auf Veranlassung der Staatsanwaltschaft. Es war kaum anzunehmen, dass ein Staatsanwalt nicht in der Lage war, die Aufnahme rechtlich zutreffend einzuordnen. Es sei denn …
Auf einmal stieg ein schrecklicher Verdacht in Marc auf: Irgendjemand musste die Aufnahme von Johanna Reicherts Tod manipuliert haben! Verfluchte Scheiße, dachte er. Warum hatte er sich nur auf diese Sache eingelassen?
Templin startete die Aufnahme und drehte den Laptop so, dass alle zusehen konnten. Sie begann mit Marcs Gespräch mit Johanna Reichert. Alles war genau so, wie Marc es in Erinnerung hatte. Bild und Ton waren einwandfrei. Und mit jeder Minute, die die DVD weiterlief, entspannte sich Marc ein Stück mehr. Die Aufnahme war nicht verändert worden.
Als sie schließlich endete, lehnte Marc sich entspannt in seinem Sessel zurück und faltete die Hände auf dem Bauch. »Wie ich schon sagte«, begann er. »Was Sie dort gesehen haben, ist eine klassische frei bestimmte Selbsttötung beziehungsweise eine Beihilfe dazu. Worauf ich nicht sonderlich stolz bin«, beeilte er sich hinzuzufügen.
»Ein frei bestimmter Selbstmord, so, so«, murmelte Templin. »Was veranlasst Sie zu dieser Annahme?«
Marc schüttelte verwirrt den Kopf. »Aber Sie haben die Aufnahme doch selbst gesehen!«, erwiderte er und zeigte mit der ausgestreckten Hand auf den Bildschirm. »Zunächst einmal war Frau Reichert bei ihrem Entschluss eindeutig bei klarem Verstand. Und sie wollte sterben, weil sie unter Krebs im Endstadium litt und unerträgliche Schmerzen hatte.«
»Tatsächlich?«, tat Templin erstaunt. »Nun, dann will ich Sie jetzt einmal mit dem Ergebnis der Obduktion …«
»Ob…?«
»… genau, der Obduktion des Leichnams von Frau Reichert bekannt machen. Ich will Sie nicht mit den Einzelheiten langweilen. Fakt ist, dass Frau Reichert nach dem toxikologischen Gutachten zwar an einer tödlichen Medikamentendosis verstorben ist, allerdings wurde bei der Leichenöffnung kein Krebs festgestellt.«
Marc wurde so schwindelig, dass er für einen Moment die Augen schließen musste.
»Kein Krebs?«, wiederholte er dann dämlich.
»Nicht eine Krebszelle«, bestätigte Templin.
Marc starrte vor sich hin, unfähig, auch nur ein Wort herauszubringen. Sein Herz klopfte, sein Gehirn ratterte. Das konnte doch nicht wahr sein!
»Ist das sicher?«, brachte er schließlich hervor.
»Hundertprozentig«, bestätigte Templin mit ernstem Gesicht. »Das Gutachten ist eindeutig.«
Marc fasste sich mit beiden Händen an die Schläfen und rieb sie kräftig. »Das habe ich nicht gewusst«, beteuerte er. »Der behandelnde Arzt von Frau Reichert, Dr. Gerd Heinen, hat mir mehrfach versichert, Frau Reichert habe Krebs. Ich verstehe das nicht. Ich denke, es ist am einfachsten, wenn Sie ihn fragen.«
Templin lächelte maliziös. »Das würden wir gerne tun, Herr Hagen. Das Problem ist nur, dass der Herr Doktor seit neun Tagen spurlos verschwunden ist.«
»Verschwunden? Ich fürchte, ich verstehe nicht …«
»Verschwunden«, wiederholte Templin betont langsam. »Das bedeutet so viel wie: weg, vermisst, unauffindbar. Und deshalb müssen wir uns wohl oder übel an Sie wenden.«
Marc schüttelte den Kopf, als könne er dadurch seine wirren Gedanken ordnen. »Hören Sie, es ist so gewesen: Herr Dr. Heinen hat mich vor knapp drei Wochen aufgesucht und mir mitgeteilt, seine Patientin Frau Reichert sei unheilbar an Krebs erkrankt,
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