Schwanengesang (German Edition)
jedoch erforderlich, dass sie einen neuen Körper bekomme, um sich geistig weiterzuentwickeln. In einem ›roten Raum‹ am Genfer See stehe ein solcher neuer Körper für sie bereit, in dem sie sich als Künstlerin wiederfinden werde, wenn sie sich von ihrem alten Körper trenne. In ihrem neuen Leben benötige sie jedoch Geld. Deshalb müsse sie eine Lebensversicherung über 500.000 DM abschließen, den ›Sirianer‹ unwiderruflich als Bezugsberechtigten bestimmen und durch einen vorgetäuschten Unfall aus ihrem jetzigen Leben scheiden. Die junge Frau, die dem ›Sirianer‹ bedingungslos vertraute, schloss die Versicherung ab, setzte sich auf Anweisung des Mannes in eine Badewanne und ließ einen eingeschalteten Fön in das Wasser fallen, doch der tödliche Stromstoß blieb aus. Bei einem Kontrollanruf stellte der ›Sirianer‹ überrascht fest, dass die Frau noch lebte. Dann gab er ihr über Stunden in mehreren Telefonaten Anweisungen, wie sie sich umbringen sollte. Als nichts klappte, gab er schließlich entnervt auf. Der Bundesgerichtshof hatte die Verurteilung des Mannes wegen versuchten Mordes in mittelbarer Täterschaft bestätigt: Der Mann habe die Frau über wesentliche Umstände getäuscht und sei dadurch Täter eines versuchten Tötungsdelikts kraft überlegenen Wissens, durch das er den Irrenden gelenkt und zum Werkzeug gegen sich selbst gemacht habe. Dabei spiele es keine Rolle, dass die Frau nicht an psychischen Störungen litt und sich auch nicht in einer Zwangslage befand.
»Hier hat sich offenbar jemand gleich zweier menschlicher Werkzeuge bedient«, meinte Marc. »Irgendwer hat Johanna Reichert und mich getäuscht und uns wie Marionetten bedient. Nur wer?«
»Dieser Scharlatan Heinen, oder?«, meinte Gabriel. »Er muss als Arzt doch gewusst haben, dass seine Patientin keinen Krebs hatte.«
»Vielleicht hat er sich aber auch nur geirrt«, mutmaßte Marc. »Ich habe vor Kurzem von einer Ärztin gelesen, die fest davon überzeugt war, ihre Patientin habe Leukämie. Sie hat sie entsprechend behandelt. Später hat sich herausgestellt, dass es sich nur um einen harmlosen Vitamin-B12-Mangel gehandelt hatte.«
»Also für mich ist Heinen eindeutig der Hauptverdächtige. Ich halte es für sehr unwahrscheinlich, dass er sich als Arzt mit der Krebsdiagnose unabsichtlich geirrt hat. Ich gehe daher wie die Polizei davon aus, dass er Frau Reichert die Krebserkrankung systematisch eingeredet hat, um sie in den Selbstmord zu treiben. Das sollte zumindest unsere Arbeitshypothese sein.«
»Aber wo ist sein Motiv?«, fragte Marc. »Ich habe das Testament gesehen. Er erbt nichts!«
»Vielleicht hat einer der Erben Heinen Geld geboten, wenn er dafür sorgt, dass der Erbfall einige Jahre früher eintritt. Heinen hat seinen Anteil kassiert und jetzt sitzt er irgendwo in Brasilien und lässt sich einen Caipirinha schme cken oder einen Mojito oder was man da sonst so trinkt. Das würde auch erklären, warum er spurlos verschwunden ist.«
»Möglich«, meinte Marc. »Du glaubst also an ein finanzielles Motiv?«
»Was denn sonst? Das ist doch immer die erste Frage: Cui bono? Wem nutzt es? Wer ist denn sofort unter Mordverdacht geraten, als Jamie Ewing-Barnes gestorben ist? Ihr Ehemann Cliff, weil er zehn Prozent von Ewing Oil geerbt hat.«
»Also die Erben«, fasste Marc zusammen. »Das wären der Neffe von Johanna Reichert und ein Verein. Ich denke auch, dass wir da ansetzen müssen. Dich würde ich bitten, als mein Verteidiger bei der Staatsanwaltschaft Akteneinsicht zu beantragen. Ich muss unbedingt wissen, wer dieser ominöse Verein ist, der die andere Hälfte erbt, ich konnte mir den Namen nicht merken. Außerdem musst du herausfinden, ob es außer dem Vermächtnis für mich noch weitere gibt.«
Gabriel hob die Hände zu einer beruhigenden Geste. »Mache ich alles, mache ich alles«, sagte er. »Aber vielleicht wäre es besser, wenn du die Sache ein bisschen langsamer angehen lässt. Solltest du diese Ermittlungen nicht der Polizei überlassen? Ich meine, das ist doch immerhin deren Job.«
Marc schnaubte. »Du weißt doch auch, wie die bei der Polizei arbeiten: Sobald sie einen Verdächtigen haben, konzentrieren sie alle Anstrengungen darauf, ihn festzunageln. Da wird nicht mehr nach rechts oder nach links geschaut. Und hier mussten sie sich nicht mal groß anstrengen, ihren Verdächtigen zu finden, schließlich hat der Idiot seine Tat selbst aufgenommen.«
Er lachte bitter auf und malte mit den Händen
Weitere Kostenlose Bücher