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Schwanengesang (German Edition)

Schwanengesang (German Edition)

Titel: Schwanengesang (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Hoppert
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sich, auch nur ein Wort mit Marc zu wechseln und der Sachverhalt war eindeutig: Der Polizei war ein Einbruch in eine Wohnung im sogenannten Ostmannturmviertel, einem Wohngebiet in der Nähe des Bielefelder Hauptbahnhofs, gemeldet worden. Das Ostmannturmviertel war als Brennpunkt der Beschaffungskriminalität bekannt, konnten die Täter ihre Beute hier doch sofort bei den in Bahnhofsnähe herumlungernden Dealern in Drogen umsetzen.
    Marcs Mandant war etwa eine Stunde nach der Tat an der Tüte , dem Eingang der Stadtbahnhaltestelle des Hauptbahnhofs und Zentrum der Bielefelder Junkieszene, von der Polizei kontrolliert worden. Er war erst am Vortag auf Bewährung aus der Justizvollzugsanstalt Celle entlassen worden, wo er eine längere Haftstrafe wegen zahlreicher Diebstähle abgesessen hatte.
    Direkt nach seiner Entlassung hatte er den ersten Zug in seine Heimatstadt Bielefeld genommen, wahrscheinlich um seine neu gewonnene Freiheit mit einem Schuss Heroin zu feiern. Da die Beamten das Diebesgut bei ihm nicht finden konnten, hatten sie ihn zunächst wieder laufen lassen müssen. Bis die am Tatort gefundene Blutspur ausgewertet worden war. Der Täter hatte sich bei dem Einbruch an einer zersplitterten Glasscheibe verletzt und ein Tropfen seines Blutes war auf dem Teppich gelandet.
    Die Polizei hatte von seinem Mandanten eine Speichelprobe genommen und mit dem Blut vom Tatort vergleichen lassen. Ein Sachverständiger war in seinem DNA-Gutachten zu einem eindeutigen Ergebnis gekommen: Bei Marcs Mandanten handelte es sich mit einer Wahrscheinlichkeit von 99,986 Prozent um den Täter. Noch am gleichen Tag war der Mann verhaftet worden und hatte seitdem in Untersuchungshaft gesessen.
    99,986 Prozent! Die Zahl drehte sich unaufhörlich in Marcs Kopf. Sonst gab es zwar keine Indizien, die auf seinen Mandanten hindeuteten, insbesondere hatte man am Tatort weder Fingerabdrücke gefunden noch bei einer Hausdurchsuchung die Diebesbeute, aber was wollte man einer Wahrscheinlichkeit von 99,986 Prozent schon entgegensetzen?
    Und so hatte der Staatsanwalt diese Zahl in seinem Plädoyer auch mindestens fünf Mal erwähnt, bevor er angesichts der zahlreichen Vorstrafen des Angeklagten eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten gefordert hatte.
    »Herr Hagen, wenn Sie dann zur Sache kommen könnten?« Die Stimme des Vorsitzenden war immer noch freundlich, jedoch mit einer Nuance an Ungeduld.
    Marc hob ohne aufzusehen die Hand zur Entschuldigung. Vor ihm lag das DNA-Gutachten. Darin hatte der Sachverständige ausgeführt, die aus dem Blut isolierte DNA weise in allen drei untersuchten Polymorphismen die gleichen Merkmale auf wie die DNA aus der Speichelprobe des Angeklagten. Die drei Merkmale seien in einer europäischen Bevölkerungsstichprobe mit folgenden Häufigkeiten festgestellt worden: Merkmal M1 gleich 9,2 %; Merkmal M2 gleich 19,2 %; Merkmal M3 gleich 0,82 %. Die Kombination der Merkmale aller drei DNA-Polymorphismen komme nach den angegebenen Häufigkeiten bei 0,014 % der Bevölkerung vor: 9,2 mal 19,2 mal 0,82 gleich 0,014, also bei einer von 6.937 Personen. Deshalb könne mit einer Wahrscheinlichkeit von 99,986 % (100 abzüglich 0,014) festgestellt werden, dass das am Tatort gefundene Blut vom Angeklagten stamme.
    Marc zog einen Taschenrechner aus seiner Aktentasche. Mit nervös zitternden Fingern tippte er die Zahlen ein. Kein Zweifel: Die Rechnung ging auf, die Sache war tatsächlich eindeutig.
    Die Schüler auf den Zuschauerbänken wurden langsam unruhig, vereinzelt kam Getuschel auf.
    Und auch der Vorsitzende trommelte jetzt ungeduldig mit den Fingerspitzen auf dem Richtertisch herum. »Herr Hagen, wird es heute noch etwas?«, fragte er süffisant. »Oder sind Sie in eine Art Schockstarre verfallen?«
    Einige Kinder lachten und der Vorsitzende war sichtlich erfreut über die unerwartete Resonanz auf seinen billigen Scherz. Komplizenhaft zwinkerte er den Schülern zu.
    »Sofort«, beeilte sich Marc zu versichern und stand langsam von seinem Platz auf. Er konnte nichts anderes mehr für seinen Mandanten tun, als sich bei seinem Plädoyer auf die Strafzumessung zu beschränken und den Mann bestenfalls vor einem erneuten Knastaufenthalt bewahren.
    Marc blickte auf den Angeklagten hinab, der weiterhin teilnahmslos vor sich hinstarrte. Wenn er diesen Mann wenigstens etwas kennen würde. Marc hatte keine Ahnung, ob er eine schwere Kindheit hinter sich hatte. Das Einzige, was er vielleicht zu seinen Gunsten

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