Schwanengesang (German Edition)
nichts dabei gedacht und war einverstanden. Lizzy natürlich auch. Außerdem habe ich gehofft, dass er sich dann besondere Mühe mit Lizzys Behandlung gibt. Und so war es ja auch: Er hat sich über eine Stunde Zeit für uns genommen, so viel, wie kein anderer Arzt vorher oder nachher. Für den Fall, dass es Lizzy einmal schlecht gehen sollte, hat er mir seine private Nummer gegeben, damit ich ihn jederzeit anrufen könne, Tag und Nacht. Anschließend sind wir kurz auf den Spielplatz direkt neben der Praxis gegangen und er hat ein paar Aufnahmen von Lizzy gemacht. Das ist alles.«
»Das erklärt immer noch nicht, wie ihr Bild in diese Werbebroschüre gelangt ist.«
»Das weiß ich auch nicht. Ich habe dazu nie meine Zustimmung gegeben, das musst du mir glauben!«
Marc schüttelte fassungslos den Kopf. »Wie kann man nur so naiv sein! Wenn demnächst irgendein Kinderschänder daherkommt und dich fragt, ob er Fotos von Lizzy machen kann, sagst du wahrscheinlich auch: Natürlich, bitte, tun Sie sich keinen Zwang an, meine Tochter steht Ihnen jederzeit für Aufnahmen aller Art zur Verfügung.«
Melanie sah ihn herausfordernd an. »Pass auf, was du sagst, Marc«, sagte sie mit einem warnenden Unterton. »Jetzt gehst du zu weit!«
Marc wusste, dass sie recht hatte, aber das war ihm im Moment egal. Er wollte sich streiten! Er spürte, dass der gesammelte Frust der letzten Tage danach drängte, endlich herausgelassen zu werden. Mit unverminderter Lautstärke fuhr er fort: »Und wenn die Aufnahmen dann auf irgendwelchen Kinderpornoseiten im Internet erscheinen, wirst du wahrscheinlich auch sagen: Oh, dazu habe ich aber nie meine Zustimmung gegeben. Damit konnte ja keiner rechnen!«
»Verschwinde, Marc!«, schrie Melanie auf einmal los. Ihre Stimme zitterte vor Wut und Erregung. »Lass mich einfach in Ruhe!«
»Entschuldige, dass ich mir Sorgen mache, wenn Lizzy als geheilte Krebspatientin vermarktet wird. Was kommt als Nächstes? Wird meiner Tochter demnächst Botox gespritzt und muss sie dann bei einer von diesen Miss-Wahlen für Kinder mitmachen?«
Melanies Augen wurden schmal. »Lizzy ist nicht deine Tochter!«, sagte sie nur, aber diese Worte trafen Marc härter als ein Schlag in den Magen.
Melanie atmete schwer seufzend aus. »Nein, Marc, das habe ich nicht so gemeint.« Sie versuchte, seine Hand zu nehmen, doch er zog sie zurück.
»Doch, das hast du«, sagte Marc mit belegter Stimme. »Und es stimmt: Lizzy ist nicht meine Tochter. Und ich habe kein Recht, mich in deine Erziehung einzumischen.«
Mit diesen Worten stand er auf und ließ Melanie allein.
27
Am Morgen danach saß Marc in seinem Büro und starrte aus dem Fenster. Er hatte versucht, etwas in einem juristischen Aufsatz nachzusehen, aber als er merkte, dass er dieselbe Stelle schon zum dritten Mal las, ohne ihren Sinn zu verstehen, hatte er das Heft wieder zur Seite gelegt. Er konnte sich einfach nicht konzentrieren. Immer wieder wanderten seine Gedanken zum gestrigen Abend zurück. Nachdem er aus Melanies Arbeitszimmer gestürmt war, hatten sie nur noch das Nötigste miteinander gesprochen. Und so war er nach einer Nacht, in der er kaum geschlafen hatte, schon um halb acht in die Kanzlei gefahren.
Das schrille Schellen des Telefons durchschnitt seine trüben Gedanken und Marc nahm den Hörer von der Station.
»Ich bin’s, Melanie!« Im ersten Moment freute Marc sich, ihre Stimme zu hören, aber dann bemerkte er sofort, dass irgendetwas nicht stimmte. Melanie schien der Panik nahe zu sein.
»Was ist passiert?«
»Die Polizei ist bei uns im Haus. Mit sechs Mann. Sie haben mir einen Durchsuchungsbeschluss gezeigt und sind schon dabei, alles auseinanderzunehmen.«
Marc biss sich auf die Unterlippe. Scheiße. »Okay, Melanie, pass auf: Du bleibst jetzt ganz ruhig, sagst kein Wort und wartest auf mich. Ich bin in maximal fünfzehn Minuten zu Hause.« Er wurde von lauten Stimmen in seinem Vor zimmer abgelenkt. Sekunden später wurde die Tür zu seinem Büro aufgerissen und er sah den Rücken von Hauptkommissar Templin, der sich mit seiner Sekretärin herumstritt.
»Sie können da nicht einfach …«, fauchte Stefanie gerade.
»O doch, wir können«, schnitt Templin ihr das Wort ab. Mit sanftem Druck schob er Marcs Sekretärin zur Tür hinaus und schloss sie.
»Herr Hagen«, wandte er sich dann Marc zu und wurde förmlich. »Ich habe hier einen Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Bielefeld, der uns ermächtigt, Ihr Haus, Ihre Kanzlei, Sie und
Weitere Kostenlose Bücher