Schwanengesang (German Edition)
Prospekt in seine Tasche. »Hagen«, stellte er sich vor. »Ich habe für fünfzehn Uhr einen Termin bei Herrn Dr. Nolte.«
Die Frau tippte auf der vor ihr stehenden Tastatur herum und studierte das Display ihres Flachbildmonitors. Dann bedachte sie Marc mit einem übertriebenen Lächeln, als sie ihm die gute Nachricht übermittelte. »Herr Dr. Nolte erwartet Sie.« Ihre Hand wies auf den gläsernen Fahrstuhl links von ihr. »Nehmen Sie den bitte bis in den dritten Stock, wenden sich nach links und folgen dem Gang bis zum Ende. Dort werden Sie von Herrn Dr. Noltes Privatsekretärin empfangen.«
Marc folgte den Anweisungen. Im dritten Stock passierte er mehrere Bürotüren. Auch hier waren keine Menschen zu sehen, bis er auf die angekündigte Privatsekretärin traf. Sie führte ihn in Noltes gläsernes Büro, das ein Violinkonzert durchflutete. Ein Mann wandte ihnen den Rücken zu und schaute aus dem Fenster.
»Herr Hagen«, stellte die Sekretärin Marc vor und der Mann drehte sich zu ihnen um. Wenn es stimmte, dass Gegensätze sich anzogen, war Nolte tatsächlich die ideale Ergänzung zu Heinen, dachte Marc. Er war zwar in Heinens Alter, aber kaum einen Meter siebzig groß, von asketischem Körperbau und fast kahl. Bevor er mit ausgestreckter Hand auf Marc zukam, drückte er einen Knopf auf einer Fernbedienung und es kehrte wohltuende Ruhe ein.
»Herr Hagen«, begrüßte Nolte seinen Besucher fast wie einen alten Freund. »Ich freue mich, dass wir uns endlich einmal kennenlernen. Gerd … Dr. Heinen hat mir viel von Ihnen erzählt.«
Marc zog es vor, nicht sofort auf Heinen zu sprechen zu kommen. »Schön haben Sie es hier«, sagte er mit einem Blick durch das großzügige Büro.
Nolte hob die Hände zu einer bescheidenen Geste. »Ein Verdienst des Architekten. Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?«
Marc verneinte und Nolte gab seiner Sekretärin ein Zeichen, dass sie nicht mehr gebraucht wurde.
»Bitte, nehmen Sie doch Platz«, sagte Nolte und deutete auf einen Konferenztisch mit sechs Stühlen. Marc setzte sich so, dass er aus dem Fenster schauen konnte, Nolte nahm im rechten Winkel zu ihm Platz.
»Von hier aus vertreiben Sie also Ihre Medikamente«, setzte Marc an.
Nolte hob warnend den Zeigefinger. »Keine Medikamente, bitte schön«, korrigierte er lächelnd. »Bei Ginsomed handelt sich um ein rein pflanzliches Heilmittel, ein Extrakt, das wir aus der Ginsengwurzel gewinnen. Dennoch ist es sehr wirksam gegen viele Krankheiten, insbesondere gegen Krebs.«
»Offenbar kann das Mittel aber nicht allen helfen.«
»Sie spielen auf Frau Reichert an? Nun, ich kannte sie nicht persönlich. Ich praktiziere schon seit der Firmengründung nicht mehr als Arzt, aber ich habe mit Dr. Heinen über den Fall gesprochen. Ginsomed ist zwar ein äußerst wirksames Krebsmittel, aber Wunder …«, Nolte hob bedauernd die Hände, »… Wunder kann es leider auch nicht vollbringen.«
»Wie sich aber nun herausgestellt hat, hatte Frau Reichert gar keinen Krebs«, sagte Marc.
»Sagt wer?«, fauchte Nolte.
»Die Pathologen der Städtischen Krankenanstalten Bielefeld.«
Nolte lachte laut auf. »Und das glauben Sie? Herr Hagen, ich will Sie jetzt einmal über einige grundsätzliche Dinge aufklären: Sie dürfen Schulmedizinern – wie übrigens auch der Pharmalobby – kein Wort glauben. Diese Menschen gehen über Leichen.«
»Tatsächlich?«
»In der Tat! Ärzte und Medikamentenhersteller haben im Dritten Reich den Nazis geholfen, Millionen Menschen umzubringen, und daran hat sich bis heute nichts geändert. Diese sogenannten Ärzte und die Vertreter der Pharmaindustrie sind nicht daran interessiert, Menschen zu heilen. Und wissen Sie auch warum? Weil sie von den Kranken leben! Jede wirksame Therapie bedroht ihre Gewinnaussichten und ist damit geschäftsschädlich. Das ist wie mit dem unzerreißbaren Schnürsenkel. Der wird auch nie auf den Markt kommen, weil eine ganze Industrie dann nichts mehr zu verdienen hat. So einfach ist das!«
»Na ja, ich vermute, dass Sie Ihr Mittel auch nicht verschenken«, wandte Marc vorsichtig ein.
»Das ist korrekt«, gab Nolte zu. »Aber wir verwenden praktisch alle Gewinne für unsere Forschungsarbeit. Uns geht es darum, die Ursachen der Krankheiten zu finden. Und genau das versucht das Pharmakartell mit allen Mitteln zu verhindern. Die Hersteller bieten den Patienten unwirksame Medikamente an, die – wenn überhaupt – die Symptome bekämpfen und darüber hinaus starke
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