Schwanengesang (German Edition)
nickte Heinen langsam. »Sonst muss ich nichts beachten?«
»In strafrechtlicher Hinsicht nicht.«
»Aber?«
»Wenn Sie Ihrer Patientin tatsächlich mit einem tödlichen Medikamentencocktail … helfen wollen, könnte darin ein Verstoß gegen das Arzneimittelgesetz liegen, da die geeigne ten Mittel zu diesem Zweck nicht verordnet werden dürfen.«
Heinen runzelte die Stirn. »Was könnte denn schlimmstenfalls passieren, falls herauskommt, dass ich die Medikamente besorgt und den Cocktail hergestellt habe?«
Marc blies die Backen auf. »Da ist zunächst einmal der Verstoß gegen das Arzneimittelgesetz. Hinzu kommt – und das ist mit Sicherheit gravierender – ein Verstoß gegen das ärztliche Standesrecht. Im Juni 2011 ist die Berufsordnung der Ärzte noch einmal verschärft worden. Medizinern ist jetzt erstmals ausdrücklich untersagt, sterbenden und unheilbar kranken Patienten Hilfe zur Selbsttötung zu leisten. Vorher gab es da zumindest eine gewisse Grauzone. Falls also bekannt wird, dass Sie einer Patientin aktiv bei einer Selbsttötung geholfen haben, können Sie zwar nicht angeklagt werden, bekommen aber erhebliche Probleme mit der Ärztekammer. Das kann bis zum Entzug der Approbation gehen.«
Heinen ließ sich lange für seine Antwort Zeit. »Das ist in der Tat ein Riesenproblem«, sagte er dann. »Ich liebe meinen Beruf über alles und bin davon überzeugt, dass ich als Arzt noch gebraucht werde. Ich habe schon aus anderen Gründen große Schwierigkeiten mit der Ärztekammer. Dort wartet man nur auf einen Anlass, mich rauszuschmeißen.«
»Gibt es denn sonst niemanden, der Ihrer Patientin helfen kann?«, erkundigte sich Marc. »Vielleicht ein Verwandter oder ein Freund?«
Heinen verzog skeptisch das Gesicht. »Ich wüsste niemanden. Meines Wissens gibt es da noch einen Neffen, aber zu dem besteht kaum Kontakt. Und meine Patientin will auch nicht, dass ich ihn frage. Viele Freunde hat sie nicht, sie lebt sehr zurückgezogen. Es gibt eigentlich nur eine enge Freundin, aber die hat schon abgelehnt. Sie hat gesagt, sie könne das einfach nicht, nicht bei einem Menschen, der ihr so viel bedeutet.« Der Arzt atmete durch und schloss die Augen. »Vielleicht müsste es jemand sein, der gerade kein enges Verhältnis zu meiner Patientin hat. Jemand …« Heinen stutzte, als sei ihm gerade etwas eingefallen und fixierte Marc. »Jemand wie Sie zum Beispiel.«
» Ich? « Jetzt war Marc tatsächlich entsetzt.
»Ja, Sie«, bestätigte Heinen, dem seine Idee immer besser zu gefallen schien. »Sie sind gefühlsmäßig nicht betroffen. Sie sind, wenn Sie so wollen, ein neutraler Dritter. Dazu noch Rechtsanwalt. Sie könnten alles so regeln, dass es seine Richtigkeit hat und anschließend niemand Probleme bekommt. Natürlich sollen Sie das nicht umsonst tun. Meine Patientin ist sehr vermögend. Ich bin mir sicher, dass sie sich erkenntlich zeigen wird, wenn Sie ihr helfen.«
Marc schüttelte sofort den Kopf. »Das geht auf gar keinen Fall. Wenn ich für so etwas Geld nehmen würde, würde ich Schwierigkeiten mit meiner Kammer bekommen. Und Probleme mit der Anwaltskammer hatte ich schon mehr als genug in meinem Leben.«
»Dann bitte ich Sie inständig, in sich zu gehen, und zu überlegen, ob Sie meiner Patientin nicht ohne Bezahlung helfen wollen. Aus Mitmenschlichkeit, wenn Sie so wollen.«
»Aber ich kenne die Frau doch überhaupt nicht«, protestierte Marc.
»Dann lernen Sie sie eben kennen. Glauben Sie mir: Wenn Sie sie gesehen und erlebt haben, werden Sie ihr helfen. Mir ist klar, dass das eine gewaltige Verantwortung ist und Sie sich die Sache in Ruhe überlegen müssen. Melden Sie sich einfach in den nächsten Tagen bei mir.«
Heinen zog eine Visitenkarte aus seinem Portemonnaie. »Rufen Sie mich bitte an«, sagte er, während er sie Marc überreichte. »Aber egal, wie Sie sich entscheiden, warten Sie nicht zu lange. Die Frau braucht Hilfe, und das so schnell wie möglich.«
3
Als Marc eine halbe Stunde später in seine Kanzlei zurückkehrte, war er noch immer aufgebracht. Er schleuderte die Aktentasche in die Ecke, ließ sich in seinen Drehsessel fallen und zerrte an seinem Krawattenknoten, um ihn zu lockern.
Marc fühlte sich überfahren und wusste beim besten Willen nicht, wie er sich verhalten sollte. Wie kam dieser Typ eigentlich dazu, so etwas von ihm zu verlangen? Für eine Frau, die er noch nie gesehen hatte!
Dann atmete er ein paar Mal tief durch und fuhr den Laptop hoch. Er war sich sicher,
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