Schwanengesang (German Edition)
etwas tue, um ihr Leiden zu beenden.«
»Und genau das dürfen Sie nicht. Das nennt man Tötung auf Verlangen und damit machen Sie sich strafbar.«
»Dann kann ich nichts für sie tun?« Heinen wirkte beinahe erleichtert. »Also rein theoretisch«, fügte er schnell noch hinzu.
»Doch«, erwiderte Marc langsam. »In der Juristerei ist so ziemlich alles möglich, wenn man es richtig anpackt. Sie könnten Ihrer Patientin bei ihrem Selbstmord helfen.«
Heinen machte ein verwirrtes Gesicht. »Aber Sie sagten doch eben …«
»Ich sagte, Sie dürfen Ihre Patientin nicht aktiv töten, auch wenn sie das ausdrücklich will. Die aktive Beihilfe zu einem Selbstmord ist dagegen erlaubt, weil Selbstmord in Deutschland nicht strafbar ist. Wir Juristen verwenden den Begriff Selbstmord übrigens nur sehr ungern und sprechen lieber von Freitod oder Selbsttötung. Juristisch kann man sich nämlich nicht selbst ermorden. Aber lassen wir diese Spitzfindigkeiten.«
»Was kann ich also tun?«
»Zunächst einmal muss ein ernsthafter, freiverantwortlich gefasster Selbsttötungsentschluss Ihrer Patientin vorliegen.«
»Das ist eindeutig der Fall.«
»Gut. Dann dürfen Sie Ihrer Patientin grundsätzlich aktiv bei einer Selbsttötung helfen. Aber jetzt wird es kompliziert: Als behandelnder Arzt haben Sie nämlich eine sogenannte Garantenstellung. Das bedeutet nach der gegenwärtigen Rechtsprechung, dass Sie dem Lebensmüden von dem Moment an helfen müssen, in dem er bewusstlos und damit handlungsunfähig wird, weil Sie von diesem Zeitpunkt an die Tatherrschaft haben und weil es jetzt allein von Ihrem Willen abhängt, ob der Lebensmüde stirbt oder Sie den Eintritt des Todes verhindern.«
»Und was heißt das für mich konkret?«
»Das kommt darauf an. Wie wollen Sie Ihrer Patientin denn bei der Selbsttötung helfen?«
»Moment«, lenkte der Arzt sofort ein. »Ich habe mich noch nicht entschieden. Das hier ist nur ein Informationsgespräch.«
»Selbstverständlich. Also rein theoretisch: Was würden Sie tun?«
Heinen zögerte. »Nun, für mich als Arzt wäre es natürlich naheliegend, wenn ich meiner Patientin eine Überdosis bestimmter Medikamente besorgen würde«, sagte er dann mit sichtlichem Unbehagen.
»Gut, dann dürfen Sie ihr den Giftbecher reichen und ihr auch beim Trinken helfen, indem Sie ihr zum Beispiel den Kopf stützen, damit sie besser schlucken kann. Das ist alles noch eine nicht strafbare Beihilfe zum Freitod durch positives Tun. In dem Moment aber, in dem Ihre Patientin bewusstlos wird, müssen Sie ihr sofort den Finger in den Hals stecken, damit sie sich übergeben kann, und einen Krankenwagen rufen, sonst laufen Sie Gefahr, wegen Tötung auf Verlangen in Form der sogenannten Unterlassungstäterschaft bestraft zu werden.«
Heinen kratzte sich am Kopf. »Das ist mir zu hoch«, bekannte er. »Erst darf ich ihr beim Sterben helfen und dann muss ich sie retten?«
»Das versteht außer dem Bundesgerichtshof niemand«, beruhigte ihn Marc.
»Was kann … könnte ich also tun?«
»In unserem Beispielfall müssten Sie spätestens dann den Raum verlassen, wenn Ihre Patientin den tödlichen Cocktail in der Hand hält. Denn wenn Sie nicht da sind, können Sie sie auch nicht retten.«
Marc machte eine Geste wie ein Zauberer nach einem gelungenen Trick. »Ta-da.«
»So einfach?«, fragte Heinen erstaunt.
»So einfach«, bestätigte Marc.
»Aber wie soll ich das beweisen?«, fragte Heinen nach kurzem Nachdenken. »Ich meine, wenn hinterher irgendwie rauskommt, dass ich meiner Patientin bei ihrem Freitod geholfen habe, kann ein übereifriger Staatsanwalt doch immer noch behaupten, ich sei dabei gewesen und mich anklagen, oder?«
»Die Gefahr besteht natürlich. Deshalb ist es auch ratsam, den gesamten Vorgang auf Video aufzunehmen.«
»Auf Video ?« Heinen machte ein entsetztes Gesicht.
»Ich weiß, es hört sich makaber an, den Tod eines Menschen zu filmen, aber es ist in der Tat die einzige Möglichkeit, sich rechtlich abzusichern. Nur so können Sie nachweisen, dass Sie zu dem Zeitpunkt, in dem Ihre Patientin das Bewusstsein verliert, nicht mehr anwesend sind. Außerdem ist das Video noch aus einem anderen Grund wichtig.«
Heinen sah Marc gespannt an.
»Sie brauchen eine Dokumentation, einen Beweis, wenn Sie so wollen, dass Ihre Patientin freiverantwortlich und bei klarem Verstand aus dem Leben scheiden wollte. Nur dann ist die aktive Teilnahme an einer Selbsttötung nicht strafbar.«
»Ich verstehe«,
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