Schwanengesang (German Edition)
müdes Lächeln.
»Wo ist Lizzy?«, wollte Marc wissen.
»Beim Reiten.«
»Ich denke, das ist dienstags und donnerstags.«
»Mittwochs und freitags«, korrigierte sie ihn. »Und das schon seit drei Wochen.«
»Mhm«, grummelte Marc, dieses Thema wollte er nicht vertiefen. »Ich mach mir was zu essen.«
Er stieg die Treppe wieder hinunter und schmierte sich in der Küche ein Brot. Damit setzte er sich auf die Couch im Wohnzimmer und schaltete den Fernseher ein. Er zappte sich einmal durch alle Kanäle, dann schaltete er den Apparat wieder aus.
Er hatte gerade zu Ende gegessen, als Melanie sich mit einem Glas Rotwein neben ihn setzte und die Beine unter sich zog. »Wie war dein Tag?«, fragte sie.
»Stressig«, seufzte Marc.
»Nichts Besonderes?«, hakte Melanie nach.
»Nein … doch, eigentlich schon. Ich habe einen neuen Mandanten. Er ist Arzt.«
»Ah, endlich jemand mit Geld. Vergiss nicht, einen Vor schuss von ihm zu verlangen. Geht es um einen Kunstfehler?«
»Nein, eine Patientin von ihm hat Krebs im Endstadium. Sie leidet unter unerträglichen Schmerzen und will sterben. Er wollte von mir wissen, wie man ihr helfen kann.«
Melanie saß plötzlich ganz aufrecht. »Wie … helfen?«
»Nun, er wollte eine Art juristische Beratung über erlaubte und verbotene Sterbehilfe. Und …« Marc räusperte sich. »Er hat mich gefragt, ob ich seiner Patientin nicht bei ihrer Selbsttötung helfen kann.«
»Du? Das kann doch wohl nicht sein Ernst sein! Wieso ausgerechnet du?«
Das war zwar genau die Frage, die Marc sich die ganze Zeit stellte, aber auf einmal verspürte er das Bedürfnis, sich zu verteidigen.
»Weil er Arzt ist und erhebliche Probleme mit der Ärztekammer bekommen kann, wenn er ihr Hilfe zur Selbsttötung leistet.«
»Und was ist mit deinen Problemen?«
»Das habe ich schon geprüft. Wenn man es richtig anstellt, sind von der Anwaltskammer keine Schwierig…«
» Diese Art Probleme meine ich nicht«, fiel Melanie ihm ins Wort. »Es geht um moralische Probleme. Dein Gewissen! Und das sollte dir sagen, dass es falsch ist, einen anderen Menschen zu töten, egal aus welchem Grund.«
»Ach, und das ausgerechnet aus deinem Mund!« Marc bereute seinen Seitenhieb, noch während er ihn aussprach. Melanie hatte vor knapp vier Jahren ihren Mann, der sie und ihre Tochter jahrelang misshandelt und tyrannisiert hatte, im Schlaf erschossen. Sie war wegen Mordes angeklagt worden. Marc hatte ihre Verteidigung übernommen und einen Freispruch erreicht, seitdem waren sie ein Paar.
»Ja, ausgerechnet aus meinem Mund«, versetzte Melanie scharf. »Ich weiß nämlich, wie es ist, einen anderen Menschen zu töten. Und du kannst mir glauben: Seitdem vergeht kein Tag, an dem ich es nicht bereue und an dem mich diese Sache nicht verfolgt.«
Marc wusste nicht, was er erwidern sollte und so entstand ein unbehagliches Schweigen. Weder beim Prozess noch in der Zeit danach hatten sie sich über dieses Thema unterhalten. Melanies Tat war ein Tabu zwischen ihnen, aber jetzt war die Sache auf einmal auf dem Tisch.
»Er hatte es verdient«, sagte Marc etwas lahm.
»Nein!«, erwiderte Melanie heftig. » Das hat er nicht verdient, egal, was er Lizzy und mir angetan hat. Er hat es verdient, ins Gefängnis zu gehen, von mir aus für den Rest seines Lebens. Aber nicht den Tod!«
»Du hattest damals keine Alternative«, versuchte Marc sie zu besänftigen, erreichte damit aber nur das Gegenteil.
»O doch, die hatte ich!«, brauste Melanie auf. »Der Staatsanwalt hatte vollkommen recht. Ich hätte zur Polizei oder in ein Frauenhaus gehen können. Es gibt immer eine Alternative! Und die gibt es auch für diese Frau. Und selbst wenn nicht, will ich nicht, dass ausgerechnet du ihr dabei hilfst.«
»Was ist denn jetzt genau dein Problem?«, wollte Marc wissen. »Dass sie Hilfe bei einem Suizid will oder dass ich ihr dabei helfen soll?«
»Ich habe überhaupt kein Problem«, gab Melanie scharf zurück. »Du hast ein Problem. Und dein Problem ist, dass du einfach nicht Nein sagen kannst, wenn dich jemand um etwas bittet. Soll diese Frau doch einen Freund oder Verwandten fragen. Ich finde, es ist schlicht und einfach eine Zumutung, mit so einer Bitte einen wildfremden Menschen zu behelligen. Und anstatt diesem Arzt einfach zu sagen, dass er sich zum Teufel scheren soll, ziehst du das auch noch ernsthaft in Erwägung.«
Marc hatte zwar eigentlich schon den Entschluss gefasst, Heinen abzusagen, aber jetzt konnte und wollte er nicht
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