Schwanengrab
ich endlich auf dem Schulgelände an. Der Fahrradständer war restlos überfüllt, daher stellte ich mein Rad hinter den Garagen ab. Der Platz war gar nicht so schlecht. Hier fand es bestimmt auch keiner, um mir die Luft rauszulassen. Ich rannte zu meinem Klassenzimmer und pünktlich mit dem letzten Gong hetzte ich durch die Tür. Alle gafften mich an, einige steckten die Köpfe zusammen. Wie es aussah, hatte Geli schon ganze Arbeit geleistet und von meinem Kakao-Desaster berichtet. Mir doch egal. Sollten sich eben alle den Mund über mich fusselig reden.
Herr Simon machte eine ernste Miene und verteilte Blätter. Oh nein, der Mathetest! Den hatte ich total vergessen. Ich hatte nichts dafür gelernt. Auch nicht die Seiten, die ich aus Caros Heft abgeschrieben hatte. Entsprechend schlecht ging es mir bei der Lösung der Aufgaben. Ich konnte fast nichts. Nervös schielte ich zu Caro hinüber. Sie war mit der ersten Aufgabe schon komplett durch. Als sie meinen Blick bemerkte, drehte sie sich so, dass ich nichts mehr sehen konnte. Danke, Caro! Ich starrte auf mein Blatt, als wären es ägyptische Hieroglyphen. Die dritte Aufgabe. Vielleicht konnte ich da ein paar Punkte retten. Aber es hatte keinen Sinn. Schließlich gab ich ganz auf und legte ein fast leeres Blatt auf das Pult. Herr Simon blickte mich betroffen an.
»Komm bitte nach der Schule kurz zu mir ins Lehrerzimmer«, sagte er. Ausgerechnet heute! Wir hatten nach dem Unterricht Theaterprobe, darauf freute ich mich sehr, und anschließend musste ich den Bus erreichen.
Caros Blick war so duster wie eine sternenlose Nacht, als ich wieder an meinen Platz ging.
Entsprechend Zeit ließ ich mir später für den Weg zum Theatersaal. Auf keinen Fall wollte ich ihr begegnen.
»Samantha! Wie schön, dass du uns helfen willst!«, begrüßte Frau Krahe mich überschwänglich, als ich den großen Saal betrat. Alle nannten sie die Krähe. Natürlich nur dann, wenn sie selbst es nicht hören konnte.
Sie zog mich weg von den anderen, in eine Nische hinter der Bühne.
»Hier stören wir nicht bei den Proben und können uns in Ruhe ausbreiten!«, strahlte sie.
Zwei große Leinwände waren aufgezogen, daneben standen Gläser mit Pinsel und eine Leiter.
»Ich hatte noch keine Zeit, die Farben aus dem Werkraum zu holen. Hier, sei so nett. Ich gebe dir meinen Schlüssel. Der Raum ist im Keller. Die Farben stehen im Schrank ganz rechts. Aber sperr bitte wieder ab, wenn du alles hast.«
Ich eilte die Treppen nach unten. Es war stockdunkel. Plötzlich wurde mir mulmig zumute.
Du bist hier nicht erwünscht!
Unsicher lauschte ich in den menschenleeren Flur. In Berkley hatte ich nie Probleme alleine im Dunkeln, aberhier ... Meine Finger fanden den Lichtschalter. Es gab mehrere Türen, die dritte war die zum Werkraum. Ich beeilte mich damit, die notwendigen Farbtöpfe aus dem Schrank herauszusuchen. Je eher ich wieder oben war, umso besser. Gerade als ich mir alles aufladen wollte, hörte ich Schritte draußen im Flur.
Hau wieder ab, bevor es zu spät ist.
Angst überkam mich. War mir jemand gefolgt? Was sollte ich machen? Weglaufen? Ich duckte mich hinter den Schrank und lauschte. Die Schritte kamen näher, dann hörte ich, wie die Tür noch weiter aufgezogen wurde. Angespannt hielt ich die Luft an. Natürlich dachte ich sofort an die unheilvolle Gestalt letzte Nacht ... Wieder Schritte – direkt in meine Richtung. Konnte mich hier unten jemand hören, wenn ich um Hilfe schrie? Wohl kaum! Die Schranktüren wurden zugeschoben. Ganz ruhig, ganz ruhig ... Ich presste mich gegen die Wand, wagte noch nicht einmal, mit den Augen zu blinzeln. Fünf, sechs, sieben qualvolle Sekunden – das Licht ging aus. Türe zu. Nun war ich wieder allein. Erleichtert stieß ich die Luft aus. Wer das wohl gewesen war? Ich wartete ein wenig, bis mein Puls wieder normal ging, dann schlich ich mich leise zur Tür. Nur weg hier! Im Flur war nichts zu hören, alles war wieder dunkel, und ich versuchte, die Werkraumtür abzusperren, was – voll beladen – gar nicht so leicht war. Erst einmal brauchte ich Licht. Meine Finger tasteten über den rauen Putz der Wand. Plötzlich spürte ich ganz deutlich die Gegenwart eines anderen. Ich war nicht allein. Jemand warhinter mir. Schritte! Dann packte mich eine Hand an der Schulter. Ich schrie. Lautes Scheppern. Licht ging an.
»Was machst du hier?« Vor mir stand ein Mann in einem grauen Arbeitskittel.
»Ich hol Farbe für das Bühnenbild«, presste ich
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