Schwanengrab
hervor.
»So! Schöne Bescherung das«, meinte er mit einem Blick auf die rote Farbpfütze am Boden.
»Tut mir leid.« Mir war schlecht.
»Schon gut. Hab dich wohl erschreckt. Kunze, Heino Kunze, bin der Hausmeister hier. Letzens hat sich jemand unerlaubt im Werkraum bedient. Dachte, ich schnappe ihn mir diesmal.«
Hinter dem dumpfen Rauschen meines eigenen Blutes hörte ich mich ausatmen. Er half mir, den roten Farbtopf zu schließen und wischte ihn mit einem Taschentuch notdürftig sauber.
»Geh nur, ich bring den Boden schon wieder in Ordnung«, schlug er vor.
Das ließ ich mir nicht zweimal sagen, obwohl meine Beine weich waren wie Butter. Ich kam kaum die Treppen hoch.
Die Szenenbilder, die bereits fertig an der Wand lehnten, waren echt gut. Da musste ich mich ordentlich anstrengen, um mithalten zu können.
»Hast du schon eine Idee?«, fragte die Krähe, als sie wieder zu mir hinter den Vorhang kam.
»Ich würde das Bühnenbild so gestalten, dass es nicht von der Darbietung ablenkt.« Frau Krahe hob anerkennend die Augenbrauen. Eigentlich war es ja Christophs Tipp gewesen.
»Ich sehe schon, wir haben die Richtige für diese Aufgabe gefunden. Wir stehen leider enorm unter Zeitdruck. Bis Ende nächster Woche muss alles fertig sein. Fang doch am besten schon mal an, ich werde dir dann später helfen«, meinte sie und ging zurück zu den anderen.
Bevor ich richtig loslegen konnte, musste ich mir erst die Handlung noch einmal durchlesen. Gestern war ich ja mitten im Text eingeschlafen. Also:
Prinz Siegfried lebt zusammen mit seiner verwitweten Mutter, der Königin, auf einem Schloss. Zu seinem achtzehnten Geburtstag will er sich aus der Obhut der Mutter lösen. Er zieht sich zurück an einen See inmitten eines unheilvollen Waldes. Dort erscheint ihm eine wunderschöne Schwanenprinzessin. Sie gibt sich als Odette zu erkennen und weiht den Prinzen in ihr Geheimnis ein. Ein furchtbarer Zauberer hat sie und ihre Freundinnen mit einem Fluch belegt und so müssen sie fortan als Schwäne in diesem dunklen Wald hausen. Nur in der Nacht dürfen sie sich in das verwandeln, was sie eigentlich sind, in Prinzessinnen. Prinz Siegfried verliebt sich unsterblich in Odette, und bevor sie wieder die Gestalt eines Schwanes annimmt, schwört er ihr ewige Treue.
Am nächsten Tag arrangiert die Königin ein Fest. Alle Prinzessinnen des Landes sind geladen, damit PrinzSiegfried eine Braut erwählen kann. Doch keine der schönen Damen erobert das Herz des Prinzen. Erst als Odile, die Tochter des Premierministers Rotbart, ganz in Schwarz gekleidet vor den Prinzen tritt, glaubt dieser, seine geliebte Odette in ihr zu sehen. So groß ist die Ähnlichkeit der beiden. Einzig ihr Haar hat eine andere Farbe. Aber Prinz Siegfried ist wie geblendet von der Schönheit Odiles. Während sie mit ihm tanzt, schwört er auch ihr ewige Treue. Da erscheint der weiße Schwan und Prinz Siegfried erkennt seinen schrecklichen Irrtum. Er hat Odile, dem schwarzen Schwan, sein Herz geschenkt und damit Odette verraten. Der Fluch kann fortan nicht mehr gebrochen werden. Nur seine Treue hätte das Schicksal Odettes und ihres Gefolges wandeln können, so aber muss sie für immer ein Schwan bleiben. In seiner Not läuft der Prinz in den dunklen Wald. Er findet seine geliebte Odette am Wasser und reißt ihr die Krone vom Kopf, da er meint, sie könne sich so nicht mehr verwandeln. Doch damit besiegelt er ihr Schicksal endgültig, denn dies war ihr einziger Schutz, der ihr Leben vor dem mächtigen Zauber bewahrt hat. Odette ist nun dem Tod geweiht, und der Prinz muss mitansehen, wie sie immer schwächer wird. Prinz Siegfried hält seine Geliebte in den Armen, als sie stirbt. Premierminister Rotbart eilt an den See und verwandelt sich in den bösen Zauberer. Es kommt zum Kampf. In seiner Verzweiflung tötet Prinz Siegfried den Magier.
Für den Ausgang des Theaterstückes konnten sich die Zuschauer kein Happy End erwarten. Denn als PrinzSiegfried seine geliebte Odette tot am Ufer des Sees erblickt, stürzt er sich ins Wasser und ertrinkt.
Wie tragisch.
Also gut. Während ich auf der Bühne hinter dem Vorhang die Stimmen der Schauspieler hörte, begann ich mit einer einfachen Skizze eines Sees und wählte anschließend dezente, helle Farben. Es sollte schließlich das Bild für die Szenen des weißen Schwanes werden. Nach einer Stunde begutachtete ich mein Werk. Ich war fürs Erste zufrieden damit, aber bis zur Fertigstellung war noch einiges zu tun. Nur
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