Schwanengrab
gewesen und hatte nur nicht auf mich gewartet. Trotzdem bereute ich es nicht, hierher gefahren zu sein. Schließlich war es mit Christophja ganz schön gewesen. Ich wunderte mich über mich selbst. In Kalifornien hatte ich immer großen Wert darauf gelegt, dass die Jungs, mit denen ich etwas unternahm, besonders cool waren. Christoph war weit davon entfernt. Obwohl er eigentlich ganz gut aussähe, würde er seine Haare ein wenig anders frisieren und seine Klamotten in die Altkleidersammlung stecken. Dafür war er nett und das war für mich hier viel wichtiger.
Kapitel 6
Als ich endlich die Haustür aufsperrte, war es bereits Abend. Die Wohnung war dunkel, mein Vater noch gar nicht zu Hause. Ich ging unter die Dusche, und es dauerte eine Ewigkeit, bis ich mich von dem heißen Wasserstrahl trennen konnte. Endlich war mir wieder angenehm warm. Ich schlüpfte in meine Lieblings-Wohlfühlklamotten und überprüfte meine Nachrichten auf dem Handy. Josy hatte nicht geantwortet, dafür hatte mir mein Vater eine SMS geschickt.
»Hey Sam! Viel Arbeit, bleibe heute in der Agentur – Dad.« Auch gut, dachte ich, dann würde ich mir eben einen gemütlichen Abend alleine machen. Ich zappte mich durchs Fernsehprogramm. Leider lief nur Schrott.
Also gut, dann eben nicht! Aus purer Langeweile loggte ich mich in den Schulchat ein. Mike war online! Ich wollte ihm gerade schreiben, da blinkte auch schon seine Nachricht auf meinem Bildschirm.
Mike: Hey, Sunny! Sorry, hab’s nicht geschafft. Mir kam was dazwischen.
Der hatte ja Nerven. Wenigstens entschuldigte er sich bei mir.
Sunny: Macht nichts – war trotzdem nett!
Nie im Leben würde ich zugeben, dass ich jetzt tatsächlich ein bisschen enttäuscht war.
Mike: Ach ja? War es nicht langweilig, alleine in der Eisdiele?
Sunny: Wieso alleine? Ich hab eine Freundin getroffen.
Warum log ich schon wieder? Warum konnte ich ihm nicht einfach schreiben, dass ich Christoph getroffen hatte? War er doch nicht cool genug für mich?
Mike: Morgen jobbe ich nach der Schule in einem Ort gleich in der Nähe von Trier. Es gibt einen Bus dorthin. Der braucht nur eine halbe Stunde. Wenn du willst, könnten wir uns treffen. Da gibt es ein Café mit der besten heißen Schokolade weit und breit. Zurück kann ich dich auf meinem Moped mitnehmen.
Heiße Schokolade. Ich zuckte unweigerlich zusammen. Woher wusste Mike, dass ich die gerne trank? Irgendwie kam mir das plötzlich sehr komisch vor. War er doch im Café gewesen und hatte mich heimlich beobachtet? Aber warum hatte er sich dann nicht zu erkennen gegeben? Oder hatte er durch die großen Scheiben des Cafés entdeckt, wer hinter dem Namen »Sunny« steckte, und es sich dann kurzfristig anders überlegt? Aber dann hätte er sich doch jetzt nicht gemeldet. Und erst recht kein zweites Treffen vorgeschlagen. Also gut, wenn er dieses Spiel weiterspielen wollte, dann nur zu.
Sunny: Und warum gerade heiße Schokolade?
Seine Antwort kam sofort.
Mike: Die heiße Schokolade da ist wirklich göttlich. Die darfst du dir nicht entgehen lassen.
Hm! Sollte ich mich wirklich noch einmal mit ihmtreffen? Und dann auch noch irgendwo außerhalb von Trier? Andererseits: warum nicht. Irgendetwas reizte mich an ihm. Als hätte ich ein Rätsel zu knacken. Er besaß ein Moped, also musste er mindestens sechzehn sein. Das käme mit der zehnten Klasse dann auch hin.
Sunny: Du hast recht, ich mag Kakao wirklich gerne. So um fünf, okay?
Mike: Perfekt!
Ich notierte mir die Bushaltestelle, an der ich aussteigen musste.
Mike: Also dann, ciao! Freu mich!
Sunny: Bye!
Dann sah ich, wie das rote Licht neben seinem Namen erschien und meldete mich auch ab. Sein »Freu mich« am Schluss der Nachricht versöhnte mich, machte mich aber auch ein bisschen nervös. Wer weiß, vielleicht war Mike ja mein Traumtyp. Jedenfalls war ich sehr gespannt auf dieses Treffen. Ich lächelte über mich selbst, kippte das Fenster und zog die Vorhänge zu. Draußen war es schon lange dunkel. Dann öffnete ich auf der Schulhomepage noch einmal die Theaterseite und druckte mir die Handlung von Schwanensee und die Dialoge aus. Schließlich musste ich wissen, um was es ging. Ich warf mich auf mein Bett und begann zu lesen. Irgendwann verschwammen die Buchstaben vor meinen Augen ...
Lautes Hundegebell weckte mich. Erschrocken fuhr ich hoch. Es dauerte eine Weile, bis ich verstand, dass ich wohl eingeschlafen war. Ein Blick auf die Uhr – eswar erst elf. Ich hatte noch immer Probleme mit der
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