Schwanenlied: Der fünfte Fall für Katrin Sandmann (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
sicher weiß, muss ich mich auch nicht damit auseinandersetzen.« Sie merkte selbst, wie dämlich das klang.
»Mensch, Katrin, du bist doch sonst nicht so feige. Stell dich der Wahrheit. Vielleicht ist es ja falscher Alarm, dann quälst du dich ohne Not. Oder es stimmt, dann musst du mit Manfred reden, und ihr müsst eine Entscheidung treffen.«
»Ich weiß. Du hast ja recht. Gib mir noch ein paar Tage. Wenn ich weiß, wer das Mädchen in der geheimen Kammer war, und warum sie dort eingesperrt wurde und sterben musste, dann kümmere ich mich darum.«
Roberta antwortete nicht.
»Sei nicht so streng mit mir«, bat Katrin.
»Es kann Wochen dauern, bis die Identität des Mädchens geklärt wird, falls es überhaupt je passiert. Und es ist nicht dein Job. Wolltest du nicht aufhören mit dem Detektivspielen?«
»Ja, wollte ich. Und ich habe die ganze Zeit durchgehalten. Ein Jahr lang. Ich kann doch nichts dafür, dass mir die Toten quasi vor die Füße fallen. Vielleicht ist es mein Karma.«
»Du glaubst doch gar nicht an Karma und so ein Zeug.«
Katrin seufzte.
»Also gut«, sagte Roberta. »Ich gebe dir eine Woche. Dann machst du den Test. Sonst rede ich mit Manfred.« Sie klang entschlossen. »Und jetzt erzähl mir, wie das mit Micha war: Sieht er immer noch so unverschämt gut aus?«
Katrin brauchte eine Weile, um sich zur Intensivstation durchzufragen, zumal ihr von dem Gespräch mit Roberta immer noch der Kopf schwirrte, und dann benötigte sie zudem all ihre Überredungskunst, um zu Rosemary Alcott durchgelassen zu werden.
»Ihre Mutter hat mich angerufen. Sie ist ganz verzweifelt, weil sie doch von den USA aus nichts machen kann.« Katrin hoffte, dass das Krankenhaus bisher keinen direkten Kontakt zur Familie hatte. Sie wusste ja nicht einmal, ob Rosemarys Mutter noch lebte oder ob sie womöglich schon auf dem Weg nach Deutschland war.
Die Schwester sah Katrin zweifelnd an. »Sie liegt im Koma.«
»Ich weiß. Ich möchte mich nur mit eigenen Augen überzeugen, dass es ihr den Umständen entsprechend gut geht, damit ich ihrer Mutter das mitteilen kann. Die Ärmste ist völlig verzweifelt.«
Die Schwester nickte. »Also gut. Aber nur kurz.« Sie ließ Katrin Schutzkleidung überstreifen und begleitete sie in ein kleines Einzelzimmer. Kein Beamter stand vor der Tür, also ging die Polizei von einem simplen Unfall mit Fahrerflucht aus. Katrin sah das anders.
Rosemary Alcott war kaum auszumachen unter dem weißen Bettzeug und zwischen all der Technik. Ihr rechtes Bein war bis zur Hüfte eingegipst, ihr linker Arm von den Fingern bis zur Schulter. Das Bein hing zusätzlich in einem Gestell. Rosemarys Gesicht war trotz der dunklen Hautfarbe blass und von Schürfwunden entstellt. Ein Schlauch führte von ihrem Mund zu einem Beatmungsgerät. Sie lag reglos da, ein regelmäßiger Piepton war das einzige Lebenszeichen.
Die Schwester murmelte etwas und zog sich zurück. Katrin trat ans Bett und ergriff Rosemarys unverletzte Hand. »Wer hat dir das angetan?«, fragte sie leise. »Und warum? Hat es etwas mit Marius Grauweiler zu tun? Und mit dem Mann, der vor vierzig Jahren verschwunden ist?«
Rosemary reagierte nicht.
Katrin strich ihr sanft über die Finger. Schade, dachte sie, dass wir nicht offener miteinander geredet haben, als wir die Gelegenheit dazu hatten. Sie sah sich in dem Raum um. Auf einem Stuhl lag Rosemary Alcotts Handtasche, daneben stand ihr Koffer. Den hatte vermutlich das Hotel geschickt.
Katrin zögerte. Wenn die Schwester hereinkam und sie dabei erwischte, wie sie in der Tasche herumwühlte, würde sie Mordsärger bekommen. Andererseits befand sich darin womöglich des Rätsels Lösung oder zumindest ein Hinweis darauf. Sie bettete die Hand behutsam auf die Decke und erhob sich. Systematisch durchsuchte sie die Tasche. Sie enthielt all die Dinge, die zu erwarten waren: eine Brieftasche, ein Handy, einen Klappspiegel und einen Lippenstift; ferner eine Karte von der Eifel und einen Terminkalender, der jedoch offenbar nur geschäftliche Einträge enthielt, unter anderem Termine bei Gericht. Demzufolge war Rosemary Alcott tatsächlich Anwältin. Gerade als Katrin die Tasche wieder verschließen wollte, entdeckte sie ein Seitenfach, das sie zuvor übersehen hatte. Darin steckte ein vergilbter Brief. Katrins Herz schlug höher. Mit zitternden Fingern zog sie das Blatt aus dem Umschlag und entfaltete es. Es fiel ihr schwer, die enge Schrift zu entziffern, zudem war der Brief auf Englisch
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