Schwanenlied: Der fünfte Fall für Katrin Sandmann (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
herein.«
Drinnen roch es schwach nach Putzmitteln. Die Diele war eng und dunkel, sie strahlte etwas Beklemmendes aus, das Katrin sich nicht erklären konnte. Vielleicht bildete sie sich das aber auch nur ein, weil sie Manfreds Abneigung gegen das Haus kannte. Katrin blickte neugierig die Treppe hinauf, die in den ersten Stock führte. Dort oben musste Manfreds altes Kinderzimmer sein. Sie würde es gern sehen, und Ruth würde es ihr bestimmt zeigen, wenn sie sie darum bat, doch es ohne Manfred zu betreten, käme ihr wie ein Verrat vor. Wenn sie dort hinaufging, sollte er dabei sein.
Ruth führte sie in die Küche, deren Einrichtung offenbar seit Manfreds Auszug nicht mehr erneuert worden war. Weiße Einbauschränke, eine Edelstahlspüle, ein Tisch mit Resopalplatte. Lediglich der Herd sah neu aus. Ruth brühte Kaffee auf und reichte Katrin Tassen, Untertassen und Löffel. Sie nahmen Platz, Ruth schenkte ein. Eine Weile nippten sie wortlos an dem heißen Getränk.
»Er will nicht herkommen, auch nach all den Jahren nicht.« Ruth blickte auf ihre Finger. Ein goldener Ehering war das einzige Schmuckstück, das sie trug.
Katrin beschloss, das heikle Thema nicht aufzugreifen. »Es sieht so aus, als wäre die Tote nicht Johanna Grauweiler. Deshalb musste Manfred nach Bonn. Eine Mordkommission von dort ermittelt jetzt.«
»Ach du lieber Himmel!« Ruth schlug die Hand vor den Mund. »Aber wer, um alles in der Welt, sollte es sonst sein? Marius hat doch immer allein dort gewohnt.«
Katrin ergriff die Gelegenheit. »Hatte er nie eine Freundin?«
Ruth schüttelte den Kopf. »Eine Freundin? Nein. Er war auch nie verheiratet. Ich habe keine Ahnung, warum nicht.«
»Manfred hat erzählt, dass ihr ihn früher öfter besucht hättet, dann aber irgendwann nicht mehr.«
Ruth trank einen Schluck von ihrem Kaffee. »Wie kommt er darauf?«
»Keine Ahnung. Stimmt es denn nicht?«
Sie runzelte die Stirn. »Na ja, in den Achtzigern, da sind wir immer seltener hin, das ist richtig. Und nachdem Oswald, also Manfreds Vater, gestorben ist, habe ich mich nur noch wenig um Onkel Marius geschert.«
Katrin wurde bewusst, dass Ruth Kabritzky genauso wenig mit Marius Grauweiler verwandt war wie sie selbst. Trotzdem hatte sie sich um die Beerdigung und alles, was damit zusammenhing, gekümmert. »Es gab also keinen bestimmten Anlass?«
Ruth schüttelte den Kopf. »Was sollte es für einen Anlass gegeben haben? Vermutlich täuscht Manfred sich. Er ist nämlich irgendwann nicht mehr mitgekommen, weil ihm das zu langweilig war. Hat zwar immer Ärger mit seinem Vater bekommen, aber er hat sich trotzdem durchgesetzt.«
Katrin schwieg. Sie sah Ruth nicht an, sondern musterte die Topfpflanzen auf der Fensterbank. Manfreds Mutter schien eine Schwäche für alles zu haben, was rot blühte.
»Oswald hat es nicht böse gemeint«, erklärte Ruth. Ihre Stimme hatte einen beinahe flehenden Ton angenommen. »Er war streng, aber doch nur, weil er wollte, dass etwas Anständiges aus dem Jungen wird.« Sie seufzte. »Er hatte einen Herzinfarkt«, fügte sie dann hinzu. »Jetzt erinnere ich mich.«
Katrin riss sich von dem Anblick der Topfpflanzen los. »Manfreds Vater?«
»Nein, ich meine Onkel Marius. Es stand schlecht um ihn, sogar die Klamms waren gekommen, wenn ich das richtig in Erinnerung habe. Und dann hat er sich doch wieder gut erholt. Allerdings war er danach noch verschlossener als vorher, wollte niemanden mehr sehen. Vielleicht wegen des Unfalls. Er hat sich immer Vorwürfe deswegen gemacht, dabei konnte er doch nichts dafür.«
Katrin schwirrte der Kopf. Herzinfarkt? Die Klamms? Unfall? »Ich fürchte, ich kann dir nicht ganz folgen, Ruth.«
Ruth nickte. »Entschuldige, ich hatte das schon fast vergessen. Ende der Siebziger oder Anfang der Achtziger hatte Onkel Marius einen Herzinfarkt. Eine Weile sah es so aus, als würde er sich nicht davon erholen. Sein Schwager kam mit den Kindern aus Münster. Der Mann seiner Schwester Angelika, verstehst du? Angelika selbst war ja schon längst verstorben. Auf der Rückfahrt hatten sie einen Unfall. Alle drei waren sofort tot. Marius hat sich schreckliche Vorwürfe gemacht. Er fühlte sich schuldig, weil sie die Autofahrt seinetwegen angetreten hatten.«
Katrin versuchte, die neuen Informationen zu verdauen. »Wann ist Angelika denn gestorben?«
»Ich weiß nicht. Ich habe sie jedenfalls nie kennengelernt.« Sie überlegte. »Nein, warte: Sie starb, als Oswald und ich verlobt waren. Ich erinnere
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