Schwanenlied: Der fünfte Fall für Katrin Sandmann (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
»Was heißt ›bisher‹?«
»Ah, dir entgeht nichts.« Er lachte leise, das Geräusch klang so merkwürdig vertraut, dass es Katrin einen Stich versetzte.
»Verrätst du es mir?«, fragte sie leise, voller Angst, ihre Stimme könnte ihr Gefühlschaos verraten.
»Du musst mir aber versprechen, dass du dir nichts von deinem Wissen anmerken lässt, solltest du noch einmal befragt werden. Und das gilt auch für Manfred, dem du bestimmt alles brühwarm erzählst.«
»Versprochen.«
»Ein Doktor Radewald hat uns angerufen.«
»Ha!«, stieß Katrin triumphierend hervor. »Hab ich mir doch gedacht, dass der mehr weiß.«
»Du kennst den Mann?«
»Er war auf dem Hof, um den Totenschein auszustellen.«
»Ja, stimmt, hatte ich vergessen. Nun, jedenfalls hat Radewald wohl die Praxis seines Vorgängers samt aller Patientenunterlagen übernommen. Er hat sich nie eingehend damit beschäftigt, außer in den Fällen, wo es medizinisch nötig war. Doch nachdem er erfahren hatte, dass es sich bei der Mumie nicht um Johanna Grauweiler handelt, wurde er neugierig und suchte die Akte von Marius Grauweiler heraus. Sie liegt hier vor mir, ist nicht besonders dick, der Kerl war offenbar kerngesund.« Micha verstummte.
»Mach’s nicht so spannend.«
»Ich schlage nur gerade die Seite auf, damit ich dir nichts Falsches sage«, verteidigte er sich.
»Und? Gefunden?«
»Yes, Ma’am. Hier steht es: Am zwölften Februar 1960 verschrieb dieser Arzt Grauweiler Penicillin. Hinter dem Eintrag steht in Klammern ›für die Kleine‹. Damit muss das Mädchen gemeint sein. Unmittelbar darunter steht in der gleichen Schrift ein zweiter Eintrag: ›Exitus‹ am 21.2.1960. Ansonsten sind in der Akte keinerlei Hinweise zu finden. Wir nehmen an, dass das Mädchen krank und von diesem Arzt behandelt wurde. Er konnte sie aber nicht retten, sie starb im Februar 1960. Das stimmt auch mit den Erkenntnissen unseres Rechtsmediziners überein.«
»Die Arme«, sagte Katrin leise. »Sie hätte wahrscheinlich einfach ein bisschen frische Luft und Sonne gebraucht.«
»Und ein paar Spielkameraden«, ergänzte Micha.
»Was für ein trauriges Schicksal.« Katrin kämpfte mit den Tränen, unwillkürlich legte sie eine Hand auf ihren Bauch.
»Immerhin kann sie jetzt ordentlich beerdigt werden«, sagte Micha.
»Aber ihr Grabstein wird leer bleiben. Wir kennen ja nicht einmal ihren Namen.«
14
Dunkle Wolken hatten sich vor die Sonne geschoben, als sie auf den Parkplatz des Krankenhauses bogen. Am Telefon hatte ihnen niemand Auskunft geben wollen über den Zustand von Rosemary Alcott, doch immerhin hatten sie erfahren, dass die Tante inzwischen eingetroffen war. Vielleicht wusste sie ja etwas und war bereit, mit ihnen zu reden.
Sie stiegen aus. Manfred sah, dass Katrin fröstelte. Er legte ihr die Jeansjacke über die Schultern, die er vorsichtshalber mitgenommen hatte. »In der Eifel ist es eigentlich immer kalt«, sagte er. »Und wenn es mal nicht kalt sein sollte, dann ist es eisig.«
»Schrecklich.« Katrin schüttelte sich.
Kurz darauf erreichten sie die Intensivstation. Diesmal stand ein Polizeibeamter vor dem Zimmer, der sich genau von ihnen erklären ließ, was sie von Rosemary Alcott wollten. Er war offenbar mit der Entscheidung, ob er ihnen den Zutritt gewähren sollte, überfordert. Schließlich delegierte er das Problem. »Wissen Sie was«, sagte er. »Drinnen ist ihre Tante, eine Frau Freeman, fragen Sie die, ob es ihr recht ist, wenn Sie ihre Nichte besuchen.«
Bei dem Namen horchte Manfred auf und warf Katrin einen raschen Blick zu. Die Tante musste David Freemans Tochter sein. Das erhöhte die Chancen, dass sie etwas wusste. Zumindest würde sie ihnen dabei helfen können, den Brief zu entziffern, vorausgesetzt, sie war bereit, mit ihnen zu sprechen.
Sie klopften und traten ein. Manfred hielt erschrocken die Luft an, als er Rosemary in dem Bett liegen sah. Katrin hatte ihm zwar erzählt, wie heftig es sie erwischt hatte, doch der Anblick übertraf seine schlimmsten Vorstellungen. Manfred wandte seinen Blick ab und sah zu der Frau, die auf einem Stuhl neben dem Krankenbett saß und sie neugierig ansah. Sie war schlank und drahtig und auch in allem anderen das genaue Gegenteil ihrer Nichte. Sie trug Jeans und einen Strickpulli mit Rollkragen, ihr Haar war grau und kurz geschnitten, ihr schmales, dunkelhäutiges Gesicht wurde von einer Brille mit schwarzem Gestell dominiert.
»Guten Tag«, sagte sie mit starkem Akzent und erhob sich, um
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