Schwanenlied: Der fünfte Fall für Katrin Sandmann (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
Sie schnipste die Kippe nach draußen und schloss das Fenster. Dann drückte sie die Schultern durch, setzte ein professionelles Lächeln auf und öffnete die Tür.
*
Manfred spähte ins Badezimmer. Der Raum war feucht, nicht gekachelt und besaß weder Wanne noch Dusche, lediglich eine Toilette und ein Waschbecken, durch das sich ein langer, hässlicher Sprung zog. Angewidert knallte er die Tür wieder zu und folgte dem Klappern, das aus der Küche kam. »Also ich habe genug. Das ist so ziemlich das ungemütlichste Haus, das ich je gesehen habe«, sagte er zu Katrin, die vor einem Küchenschrank kniete und das wenige Geschirr begutachtete. »Ich gehe raus an die frische Luft. Hier drin wird man ja schwermütig.«
»Du hast recht«, erwiderte Katrin. »Alles penibel sauber und aufgeräumt, aber ungemütlicher als der Wartebereich im Einwohnermeldeamt. Wie kann man nur so leben?«
»Komm mit raus in die Sonne!«
Katrin blickte auf. »Ich habe noch nicht alles gesehen. Geh nur vor, ich komme gleich nach.«
Unwillkürlich musste er schmunzeln. »Du glaubst wohl immer noch, einen Schatz zu finden?«
Katrin drehte sich zu ihm um und grinste. »Oder eine Spur des Dämons. Das fände ich noch viel spannender.«
»Der lässt sich nur nachts blicken.«
»Wie blöd.« Katrin schnitt eine Grimasse.
Manfred winkte ihr. »Ich warte draußen.«
Er wandte sich ab, duckte sich im letzten Moment, um nicht gegen den niedrigen Türbalken zu stoßen, und trat ins Freie. Draußen atmete er tief durch. Diese Fahrt in die Eifel war eine Schnapsidee gewesen, das hatte er gleich gewusst. Er war Marius Grauweiler zu nichts verpflichtet, und das Haus hätte er auch von Düsseldorf aus verkaufen können. Das alte Gemäuer, die vertraute Landschaft, die Stimme seiner Mutter am Telefon, das alles schien ihn zu ersticken. Es hatte ihn so viel Mühe gekostet, sich von seiner Vergangenheit zu lösen, die Fesseln abzuwerfen, und er hatte nicht geringste Lust, sich all dem wieder auszusetzen.
Manfred ging zu seinem Geländewagen und stieg ein. Katrin konnte das nicht verstehen. Sie war geliebt und behütet aufgewachsen und nicht dauernd gedemütigt worden. Sie war Papas großes Mädchen und Mamas beste Freundin, na ja, meistens jedenfalls. Sie hatte keine Ahnung, wie sich ein Zuhause anfühlte, das keins war, das eher einem Gefängnis glich. Er schloss den Wagen auf und setzte sich hinter das Steuer. Keine zehn Pferde würden ihn wieder in dieses modrige Gemäuer zurückbekommen. Allein der Geruch löste so viele beklemmende Erinnerungen in ihm aus, dass er schlechte Laune bekam. Katrin sollte seinetwegen in den alten Sachen herumwühlen und sich aussuchen, was sie haben wollte. Er musste ihr dabei nicht Gesellschaft leisten. Viel von Wert gab es ohnehin nicht. Die Grauweilers waren nie besonders wohlhabend gewesen, und Marius hatte vermutlich immer am Rand des Existenzminimums gelebt. Der Hof hatte sich schon früh nicht mehr rentiert, seither hatte er offenbar nur geringe Einnahmen aus Pachteinkünften gehabt. Falls überhaupt.
Manfred ließ seinen Blick über das Grundstück gleiten, das sich nördlich des Hauses über mehrere Weiden bis an den Waldrand erstreckte. Seine Mutter hatte am Telefon angedeutet, dass Marius im Lauf der Zeit immer mal wieder ein Stück Land verkauft hatte, um über die Runden zu kommen. Entsprechend sah es im Inneren des Hauses aus. Die Räume waren spärlich möbliert, die Böden mit uraltem Linoleum belegt. Gekocht hatte Marius offenbar auf einem Kohlenherd, der zugleich auch der einzige Ofen im Haus gewesen war. Im Winter musste es eiskalt gewesen sein. Grauenvoll! Manfred schauderte. Was hatte dieser Mann eigentlich vom Leben gehabt? Keine Frau, keine Kinder, keine Freunde, keine Reisen, um einmal etwas anderes von der Welt zu sehen, ja nicht einmal einen Fernseher; nur dieses kalte, einsame Haus – und einen Haufen abergläubischer Nachbarn, die etwas von einem Dämon faselten.
Klar, dass Katrin diese Geschichte toll fand. Sie liebte Geheimnisse, je dunkler, desto besser. Und normalerweise gab sie nicht eher Ruhe, bis sie Licht ins Dunkel gebracht hatte. Das liebte er an Katrin, diese Hartnäckigkeit, diesen Willen, den Dingen auf den Grund zu gehen. Aber das brachte ihn auch manchmal an den Rand der Verzweiflung. Vor etwa einem Jahr war Katrin beinahe so weit gewesen, eine eigene Detektei aufzumachen. Sie hatte mehrere Verbrechen aufgeklärt, und immer wieder traten Menschen an sie heran und baten
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