Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schwanenschmaus im Porterhouse

Schwanenschmaus im Porterhouse

Titel: Schwanenschmaus im Porterhouse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Sharpe
Vom Netzwerk:
Mitgliedern, von denen viele in Australien oder Neuseeland lebten; für sie stellten die Briefe des Dekans eine Verbindung mit ihrer Zeit in Porterhouse dar, von der sie gesellschaftlich immer noch zehrten. Für den Dekan stellte allein schon die weite Entfernung seiner Briefpartner und besonders ihr Hang, anzunehmen, daß sich seit ihrer Studienzeit nichts verändert habe, eine dauerhafte Beruhigung dar. Sie halfen ihm, einen allgewaltigen Konservativismus aufrechtzuerhalten, der wenig Bezug zur Realität hatte. Nach der Rede des neuen Rektors war es nicht leicht, diesen Anspruch beizubehalten, und so kroch der Füller in der gefleckten Hand des Dekans so langsam über das Papier wie eine des Schreibens kundige, aber altersschwache Schildkröte. Hin und wieder hob er den Kopf und suchte nach Anregungen in den scharfgeschnittenen Gesichtern der jungen Männer, deren Fotografien seinen Schreibtisch überhäuften und mit sepiabrauner Arroganz von den Wänden seines Zimmers herabstarrten. Der Dekan erinnerte sich an ihre Sportbegeisterung und jugendliche Taktlosigkeit, an die Verkäuferinnen, die sie kompromittiert, und die Schneider, die sie geprellt hatten, und an die Prüfungen, in denen sie durchgefallen waren; von seinem Fenster konnte er auf den Brunnen schauen, in den sie so viele Homosexuelle getaucht hatten. Es war alles von einer so gesunden und natürlichen Gewalttätigkeit gewesen, so ganz anders als der schlaffe Ästhetizismus von heute. Sie hatten nicht zum Wohle der Kulis in Indien gefastet oder protestiert, weil in Brasilien ein Anarchist im Gefängnis saß, oder das Hotel Garden House gestürmt, weil ihnen die griechische Regierung mißfiel. In gehobener Stimmung hatten sie gehandelt. Normal. Der Dekan lehnte sich in seinem Stuhl zurück und dachte an den prachtvollen Krawall am Guy-Fawkes-Abend des Jahres 1948. Ihm fiel die Bombe ein, die im Haus des Universitätssenats die Fensterscheiben zerschmettert hatte, die Rauchbombe in der Toilette auf dem Marktplatz, die beinahe den Tod eines alten Mannes mit zu hohem Blutdruck verursacht hatte. Die mit Glassplittern von eingeschlagenen Laternen übersäten Straßen. Der Bus, den sie in die andere Richtung geschoben hatten. Die durch die Luft fliegenden Polizistenhelme. Das Auto, das sie auf der King’s Parade umgekippt hatten. In dem hatte eine schwangere Frau gesessen, fiel dem Dekan ein, und hinterher hatten alle zusammengelegt, um ihr den Schaden zu ersetzen. Kerle mit Herzen aus Gold. Die gab es heutzutage überhaupt nicht mehr. Von der Erinnerung beflügelt, huschte sein Füller über die Seite. Um den Charakter von Porterhouse zu ändern, brauchte es mehr als Sir Godber Evans. Dafür würde er sorgen. Gerade hatte er einen Brief beendet und adressierte den Umschlag, als es klopfte.
    »Herein«, rief der Dekan. Die Tür öffnete sich, und Skullion trat ein, in der Hand seinen Bowlerhut. »Guten Morgen, Sir«, sagte Skullion.
    »Guten Morgen, Skullion«, sagte der Dekan. Diese zwanzig Jahre alte Zeremonie, der tägliche Bericht des Pförtners, begann immer mit dem Austausch höflicher Belanglosigkeiten. »Starker Schneefall heute nacht.«
    »Sehr stark, Sir. Mindestens acht Zentimeter.«
    Der Dekan leckte die Lasche des Briefumschlags an und klebte ihn zu. »Schlimmes Auge haben Sie da, Skullion.«
    »Bin auf dem Weg ausgerutscht, Sir. Vereist«, sagte Skullion. »Mächtig glatt.«
    »Glatt? Ist wohl entwischt, wie?« fragte der Dekan. »Jawohl, Sir.«
    »Schön für ihn«, sagte der Dekan. »Gut zu wissen, daß es immer noch ein paar Studenten mit Mumm in den Knochen gibt. Keine weiteren Meldungen?«
    »Nein, Sir. Keine Meldungen. Nur was über Smutje, Sir.«
    »Smutje? Was ist mit ihm?«
    »Also, es geht nicht bloß um ihn. Es ist wegen uns allen. Sind sehr beunruhigt über die Rede des Rektors«, sagte Skullion, vorsichtig auf dem Drahtseil zwischen ungebührlicher Bemerkung und berechtigtem Protest balancierend. Manche Dinge konnte man dem Dekan sagen, andere hingegen nicht. Von der Entrüstung des Kochs zu berichten, schien ihm ein ungefährlicher Weg zu sein, seine eigenen Gefühle vorzutragen. Der Dekan drehte seinen Sessel in die andere Richtung und schaute aus dem Fenster, weil er sich aus der Verlegenheit winden wollte. Einerseits war er auf Skullions Informationen angewiesen, andererseits bestand immer die Gefahr, Aufsässigkeit stillschweigend zu dulden oder wenigstens eine Vertraulichkeit zu fördern, die der Disziplin abträglich war. Doch

Weitere Kostenlose Bücher