Schwanenschmaus im Porterhouse
Skullion war nicht der Mann, der solch eine Situation ausnutzte. Der Dekan traute ihm.
»Sie können dem Koch mitteilen, daß sich nichts ändert«, sagte er schließlich. »Der Rektor hat nur mal vorgefühlt. Er wird’s noch lernen.«
»Jawohl, Sir«, sagte Skullion zweifelnd. »Eine sehr beunruhigende Rede, Sir.«
»Danke, Skullion«, sagte der Dekan abschließend.
»Danke, Sir«, sagte Skullion und ging.
Der Dekan drehte seinen Stuhl zum Schreibtisch und nahm wieder den Füller zur Hand. Skullions ablehnende Haltung hatte in ihm eine neue Entschlossenheit wachgerufen, Sir Godbers Plänen Paroli zu bieten. Da waren beispielsweise die vielen Ehemaligen. Ihre Meinung und ihr Einfluß könnten entscheidend sein, wenn man sie richtig organisierte. Es könnte nichts schaden, dieser Meinung jetzt Gestalt zu verleihen. Skullion ging wieder ins Pförtnerhaus und sortierte die zweite Post. Das Gespräch mit dem Dekan hatte seine Zuversicht nur teilweise wiederhergestellt. Der Dekan wurde alt. Im Collegerat hatte seine Stimme nicht mehr das gleiche Gewicht wie früher. Heute hörte man auf den Schatzmeister, und was den anging, hatte Skullion so seine Zweifel. Er bekam den New Statesman und den Spectator und las die Times, nicht den Telegraph wie die anderen Honoratioren. »Weder Fisch noch Fleisch, noch Geflügel oder ein ordentlicher Bückling«, faßte Skullion mit seinem bekannten politischen Scharfsinn zusammen. Geriet der erstmal dem Rektor in die Finger, konnte man nicht vorhersagen, in welche Richtung er sein Fähnchen wehen lassen würde. Skullion dachte, es könnte langsam an der Zeit sein, General Sir Cathcart D’Eath in Coft einen Besuch abzustatten. Normalerweise kreuzte er jeden ersten Dienstag im Montag zu einem rituellen Besuch mit Neuigkeiten aus dem College dort auf, außerdem zu einem Plausch mit einem vertrauenswürdigen Stallburschen in Sir Cathcarts Rennstall, dessen Informationen bisher sehr geholfen hatten, Skullions dürftiges Einkommen aufzupolieren. Sir Cathcart war einer von Skullions Schützlingen gewesen, und die Schuld war nie richtig beglichen worden. »Ich nehme mir den Nachmittag frei«, sagte er zu Walter, dem Unterpförtner, als er die Post sortiert und Walter Dr. Baxters allwöchentliches Exemplar von The Boy wieder in den neutralen Umschlag zurückgesteckt hatte. »Was ist los? Gehen Sie angeln?« fragte Walter.
»Was ich tue, geht dich gar nichts an«, wies Skullion ihn zurecht. Er zündete seine Pfeife an, ging ins Nebenzimmer, um sich seinen Mantel zu holen, und kurz darauf radelte er mit der pflichtgemäßen Vorsicht und Aufmerksamkeit über die Magdalene Bridge in Richtung Coft.
Zipser saß im dritten Stock des Nordflügels der Universitätsbibliothek und versuchte, sich mit dem Einfluß des Pumpernickels auf die Politik von Osnabrück im sechzehnten Jahrhundert zu beschäftigen, doch ohne Erfolg. Daß es früher bonum paniculum geheißen hatte, war ihm mittlerweile egal, und sein Interesse an den politischen Verhältnissen in Westfalen hatte stark abgenommen. Das drängendere Problem waren seine Gefühle für Mrs. Biggs.
Zwischen den Regalen verbrachte er eine Stunde mit dem fieberhaften Durchblättern von Lehrbüchern der klinischen Psychologie auf der Suche nach einer medizinischen Erklärung für die Symptome irrationaler Gewalt und nicht zu unterdrückender Sexualität, wie sie neuerdings in seinem Verhalten aufgetreten waren. Seiner Lektüre nach zu urteilen, litt er anscheinend an einer ganzen Reihe unterschiedlicher Krankheiten. Einerseits ließ seine Attacke auf Skullion auf Paranoia schließen, »gewalttätiges Verhalten als Resultat von Verfolgungswahn«, während seine erotische Affinität zu Mrs. Biggs sogar noch beunruhigender war und offenbar auf Schizophrenie mit sadomasochistischen Tendenzen hindeutete. Paranoide Schizophrenie, die Kombination beider Krankheiten, war offenbar die schlimmste Form von Geisteskrankheit und absolut unheilbar. Zipser starrte aus dem Fenster auf die Bäume im Garten hinter dem Fußweg und sann über lebenslangen Wahnsinn nach. Er konnte sich nicht denken, was diesen Ausbruch verursacht haben könnte. Wie aus den Lehrbüchern hervorging, spielte die Vererbung dabei eine große Rolle, doch abgesehen von einem Onkel mit einer Vorliebe für Betonzwerge in seinem Vorgarten, der laut Zipsers Mutter nicht ganz richtig im Kopf war, fiel ihm kein Familienmitglied ein, das tatsächlich und nachweislich verrückt gewesen wäre. Die
Weitere Kostenlose Bücher