Schwanenschmaus im Porterhouse
Erklärung mußte woanders liegen. Seine Gefühle für die Aufwartefrau stellten eine Abweichung von jeder bekannten Norm dar. Das gleiche traf übrigens auch auf Mrs. Biggs zu. Sie hatte Wülste, wo eigentlich Grübchen hätten sein sollen, und hüpfte umher, wenn sie eigentlich ruhig sein sollte. Sie war zotig, vulgär, streitsüchtig und, woran Zipser überhaupt nicht zweifelte, ganz und gar unhygienisch. Daß er sich unwiderstehlich zu ihr hingezogen fühlte, war das Schlimmste, was ihm passieren konnte. Schwul zu sein, war völlig in Ordnung, ja geradezu modern. Ständige und hartnäckige sexuelle Begierde nach französischen Aupair-Mädchen, schwedischen Sprachschülerinnen, Mädchen aus dem Boots- College, ja sogar Erstsemestern im Girton-College zu verspüren, war die Normalität schlechthin, aber Mrs. Biggs gehörte in die Kategorie Tabuthemen. Und zu wissen, daß er ihr seine wahren Gefühle offenbart hätte, wäre dies nicht durch einen zufällig eingreifenden Staubsauger verhindert worden, versetzte ihn in Panik. Er stand von seinem Tisch auf, ging nach draußen und zurück in die Stadt.
Als er an der Kirche St. Mary’s the Great angekommen war, schlug die Uhr gerade zwölf. Zipser blieb stehen und las die an dem Gitter vor der Kirche angebrachten Plakate, auf denen Predigten angekündigt wurden.
CHRISTUS UND DER SCHWULE CHRIST Rev. F. Leaney HAT SALT KEINEN PEP MEHR?
Die anglikanische Haltung zur Abrüstung Rev. B. Tomkins HIOB, EINE BOTSCHAFT AN DIE DRITTE WELT Reverend Sutty, Bischof von Bombay JESUS SCHERZT von Fred Henry, mit Genehmigung der Privatfernsehstation ITA sowie der Intendanz des Palace Théâtre, Scunthorpe BOMBEN WEG
Eine christliche Stellungnahme zu Flugzeugentführungen von Fliegerhauptmann Jack Piggett, BOAC
Zipser starrte auf die Themen der Universitätspredigten und verspürte plötzlich ein Verlustgefühl. Was war bloß mit der alten Kirche, der Kirche seiner Kindheit geschehen, mit dem freundlichen Vikar und der praktizierten Nächstenliebe? Nicht daß Zipser je in die Kirche gegangen wäre, aber er hatte sie im Fernsehen gesehen, und daß es sie in den einschlägigen christlichtraditionellen Fernsehserien immer noch gab, hatte ihn beruhigt. Doch nun, wo er wirklich Hilfe brauchte, gab es nur diese dürftige Parodie einer Tageszeitung mit ihrem Mischmasch von Politik und Sensationsmache. Kein Wort über das Böse und wie man damit fertig wurde. Zipser fühlte sich im Stich gelassen. Auf der Suche nach Hilfe traf er in Porterhouse ein. Er würde den Obertutor um Rat fragen. Vor dem Mittagessen war gerade noch Zeit. Zipser ging die Treppe zur Wohnung des Tutors hoch und klopfte an die Tür. »Das Problem mit dem Festmahl ist«, sagte der Dekan und kaute auf einem Stück kalten Rindfleisches herum, »daß es einfach kein Ende nimmt. Heute kaltes Rindfleisch, morgen kaltes Rindfleisch, Donnerstag kaltes Rindfleisch. Wahrscheinlich wird man uns Freitag und Samstag Rindfleischeintopf vorsetzen und am Sonntag zur Abwechslung Rindfleischauflauf mit Soße. Nächste Woche dürfte sich die Lage langsam wieder normalisieren.«
»Gar nicht so einfach, einen ganzen Ochsen auf einmal zu verspeisen«, sagte der Schatzmeister. »Vermutlich hatten unserer Vorgänger einen, sagen wir, üppigeren Appetit.«
»Es war, und das habe ich schon immer gesagt, ein Fehler, ihn zum Premierminister zu machen«, sagte der Kaplan. Der Obertutor nahm seinen Platz am Tisch ein. Er wirkte ernster als sonst.
»A propos üppigerer Appetit«, sagte er grimmig. »Was einige unserer jüngeren Mitglieder angeht, habe ich schwerste Bedenken. Gerade war ein junger Mann bei mir, der behauptet, er unterliege einem gewissen Zwang, mit seiner Aufwartefrau zu schlafen.« Er nahm sich etwas Meerrettich. Der Schatzmeister kicherte. »Wer ist es?« fragte er. »Zipser«, antwortete der Obertutor.
»Welche Aufwartefrau?«
»Danach habe ich mich nicht erkundigt«, sagte der Obertutor. »Die Frage schien mir unerheblich.«
Der Schatzmeister überdachte das Problem. »Wohnt er nicht im Turm?« fragte er den Dekan. »Wer?«
»Zipser.«
»Ja. Ich glaube«, sagte der Dekan.
»Dann muß es sich um Mrs. Biggs handeln.« Der Obertutor, der gerade überlegt hatte, was er mit einem langen Knorpelstück anfangen sollte, verschluckte es. »Du meine Güte, Mrs. Biggs. Ich muß schon sagen, da habe ich dem jungen Zipser unrecht getan«, gestand er beunruhigt. »Einem Menschen mit einem derart abartigen Geschmack kann man unmöglich
Weitere Kostenlose Bücher