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Schwanenschmaus im Porterhouse

Schwanenschmaus im Porterhouse

Titel: Schwanenschmaus im Porterhouse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Sharpe
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Erinnerung an seine Leiden für genau einen solchen Fall gehortet, damit seine Freiheit – wenn und falls sie bevorstände – vollständig und endgültig sein würde. Nicht daß es wirklich so weit kommen konnte. Die Gewohnheiten eines ganzen Lebens blieben unverändert. Als ein Student sein Paket abholen wollte, erhob Skullion sich gehorsam und brachte es zur Theke, aber ohne den Groll, das Markenzeichen seiner Dienstbarkeit. Seine ganze Wut war nach innen gerichtet. Nach außen wirkte Skullion gefügig und alt, wie er mit seiner Melone auf dem Kopf durch das Büro schlurfte und vor sich hinmurmelte, doch innerlich hatte sich alles verändert. Die einzelnen Teile in seinem Hirn, mit der Treue zum College einerseits und seinem Eigeninteresse andererseits zwei unterschiedlichen Gehirnlappen gleich, waren getrennt, so daß Skullions Zorn über sein Schicksal Tür und Tor geöffnet waren.
    Als Walter um sechs Uhr abends zurückkam, zog Skullion sich seinen Mantel an.
    »Ich gehe aus«, sagte er und ließ Walter, der an diesem Abend dienstfrei hatte, verdattert zurück. Skullion ging durch das Tor und bog an der Trinity Street in Richtung Rundkirche ab. An der Ecke zögerte er und warf einen Blick auf den »Rinderbaron«, doch für seine jetzige Stimmung war das nicht die richtige Kneipe. Er wollte etwas, das weniger von Veränderungen verdorben war. Dann ging er durch die Sidney Street auf die King Street zu. Der »Themseruderer« war besser. Dort war er schon eine ganze Weile nicht eingekehrt. Er trat ein, bestellte ein Guinness, setzte sich an einen Ecktisch und zündete seine Pfeife an.

Kapitel 14
    Cornelius Carrington verbrachte den Tag mit Proben. Mit all seiner kultivierten Exzentrizität wandelte er durch die Colleges und wählte die architektonischen Hintergründe aus, vor denen er sich am eindrucksvollsten ausnahm. Die Kapelle des King’s College hatte es ihm angetan, aber das hielt nicht lange vor. Sie war zu bekannt, wie er fand, abgenutzt, und, was noch gravierender war, sie stellte seine Person in den Schatten. Im Bewußtsein seiner eigenen Grenzen suchte er die weniger überwältigende Atmosphäre des Corpus Christi College auf, wo er sich in den Alten Hof stellte und dessen mittelalterlichen Charme bewunderte. Dann schlenderte er durch die Colleges St. Catharine’s und Queen’s, überquerte die Holzbrücke und erschrak angesichts des Sakrilegs aus Beton, mit dem man den Fluß überspannt hatte. Im Pembroke College bejammerte er die Bibliothek von Waterhouse zunächst ob ihrer viktorianischen Vulgarität, ehe er seine Meinung änderte und entschied, sie sei ein wahres Schmuckstück, ein klassisches Bauwerk ihrer Periode. Schließlich war lasierter Backstein immer noch besser als Beton, dachte er, als er durch die Little St. Mary’s Lane zum Graduate Centre schritt.
    Seinen Morgenkaffee trank er im »Kupferkessel«, zu Mittag speiste er im »Whim«, und die ganze Zeit über kreisten seine Gedanken um das Problem, das ihn seit seiner Ankunft beschäftigte: Der Sendung, wie er sie sich vorstellte, fehlte die menschliche Komponente. Es genügte nicht, für eine Million Zuschauer eine Führung durch die Colleges von Cambridge zu veranstalten. Irgendwo mußte es eine Moral geben, eine menschliche Tragödie, die ans Herz ging und Carringtons Sendung aus der Ebene ästhetischer Nostalgie auf dramatische Höhen transponierte. Irgendwo, irgendwie würde er sie finden. Für die verborgenen Nöte seiner Mitmenschen besaß er einen Riecher.
    Nachmittags besuchte er auf seiner Wallfahrt Trinity’s und John’s College, wo er über das riesige neue Gebäude wetterte. Dann trippelte er durch Magdalene, und als er sich schließlich in Porterhouse einfand, war es halb vier geworden. Wenn irgendwo in Cambridge, so stand hier die Zeit still. Keine Spur von Beton. Die geschwärzten Backstein- und Kalktuffmauern sahen noch aus wie zu seiner Studienzeit. Der kopfsteingepflasterte Hof der gotischen Kapelle, der Rasen und der große Speisesaal, durch dessen Buntglasfenster die strahlende Wintersonne schien: Alles war so, wie er es im Gedächtnis hatte. Und mit der Erinnerung kam das beklemmende Gefühl seiner Minderwertigkeit, das er in jenen Tagen empfunden hatte und das er, trotz seines Ansehens, nie ganz losgeworden war. Diesem wieder aufkeimenden Minderwertigkeitskomplex wehrend, stieg er die abgetretenen Stufen zu dem Portikus hinauf, wo er kurz stehenblieb, um die dort in den Glaskästen angeschlagenen

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