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Schwanenschmaus im Porterhouse

Schwanenschmaus im Porterhouse

Titel: Schwanenschmaus im Porterhouse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Sharpe
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antwortete Carrington.
    »Sechsunddreißig? Etwa zu Ihrer Zeit. Überrascht mich, daß Sie sich nicht daran erinnern.«
    »Ich war nie ein großer Rugbyspieler.«
    Der Dekan musterte ihn streng. »Nein, wenn ich’s recht bedenke, waren Sie alles andere als das. Interessierten Sie sich eher für den Rudersport?«
    »Nein«, sagte Carrington in dem unangenehmen Gefühl, daß der Dekan ohnehin Bescheid wußte.
    »Irgend etwas müssen Sie in Ihrer Studienzeit doch getan haben. Heutzutage tun ja viele junge Burschen so gut wie gar nichts mehr. Manchmal frage ich mich, weshalb sie überhaupt auf die Universität gehen. Sex, nehme ich an, aber warum sie ihren schmutzigen Gelüsten nicht woanders frönen können, ist mir schleierhaft.« Er schlurfte in die Küche und kam mit einem Teller Hartkeksen zurück.
    »Ich habe mir gerade den Schaden am Turm angesehen«, begann Carrington, als der Dekan Tee eingeschenkt hatte. »Sie wollen wohl aus unserem Unglück Kapital schlagen«, sagte der Dekan. »Ihr Journalisten seid gleichsam die Geier der gegenwärtigen Gesellschaft.« Er lehnte sich schmunzelnd zurück, stolz auf seine so ansprechend stabgereimte Unverschämtheit.
    »Ich betrachte mich eigentlich nicht als Journalist«, wandte Carrington ein.
    »Ach nein? Wirklich sehr interessant«, sagte der Dekan. »Ich halte mich eher für einen Kommentator.« Der Dekan lächelte. »Natürlich. Wie dumm von mir. Einer der Herrscher des Äthers. Ein Meinungsmacher. Wirklich sehr interessant.« Er pausierte, um Carrington seine Gleichgültigkeit auskosten zu lassen. »Ist es Ihnen nicht oft peinlich, daß Sie solch einen immensen Einfluß ausüben? Mir würde es so ergehen. Aber schließlich hört niemand auf das, was ich zu sagen habe. Man könnte wohl sagen, mir fehlt das Volkstümliche. Nehmen Sie doch noch etwas Tee.«
    Zornig musterte Carrington den alten Mann. Er hatte genug von der Gastfreundlichkeit des Dekans, den höflichen Beleidigungen und der raffinierten Herabsetzung von allem, was er erreicht hatte. Porterhouse hatte sich nicht verändert, nicht einen Deut. Der Ort, dieser Mann waren Anachronismen, die seine nostalgische Toleranzkapazität überstiegen. »Was mich wirklich überrascht hat«, sagte er endlich, »ist die Feststellung, daß Porterhouse in einer Universität, die stolz auf ihre wissenschaftlichen Leistungen und Forschungen ist, immer noch so viel Wert auf den Sport legt. Ich habe gerade einen Blick auf das schwarze Brett geworfen. Da stand nichts von Stipendien oder wissenschaftliche Arbeiten. Nur die alten Rugbylisten ...«
    »Und was haben Sie bekommen? Eine Doppeleins, oder?« erkundigte sich der Dekan freundlich.
    »Eine zwei zwei«, antwortete Carrington. »Und sehen Sie, wie weit Sie damit gekommen sind«, sagte der Dekan. »Das spricht doch für sich. Sagen wir einfach, wir sind der amerikanischen Krankheit noch nicht erlegen.«
    »Der amerikanischen Krankheit?«
    »Doktoritis. Die Annahme, der Wert eines Mannes lasse sich allein an seinem Fleiß messen. Jemand verbringt drei Jahre mit der minuziösen Dokumentation von Dokumenten, wenn Sie wissen, was ich meine, jedenfalls untersucht er Fragestellungen, die der Aufmerksamkeit urteilsfähigerer Wissenschaftler entgangen sind, und taucht aus diesem Martyrium mit einem Doktortitel auf, bei dem es sich angeblich um den Beweis seiner Intelligenz handelt. Etwas Dümmeres fällt mir beim besten Willen nicht ein. Aber was soll’s, das ist heute eben modern. Ich nehme an, das kommt von der wörtlichen Auslegung des lächerlichen Sprichwortes, daß Genie aus zehn Prozent Inspiration und 90 Prozent Transpiration besteht. Diese Burschen glauben anscheinend, man muß ein Genie sein, wenn man drei Jahre lang einen Heißhunger auf unverdauliche und belanglose Details an den Tag legt. Meiner Meinung nach ist Genie per definitionem die Fähigkeit, den Prozeß des Transpirierens zu überspringen, aber wie ich schon sagte, auf mich hört ja keiner. Soll heißen: Es muß Millionen Menschen geben, die diese wie immer geartete Plackerei auf sich nehmen, ohne auch nur einen Funken Intelligenz aufzuweisen, von Genie ganz zu schweigen. Auf der anderen Seite hatten wir einen tumben Burschen wie Einstein, der nicht einmal zählen konnte ... es deprimiert mich, wirklich, aber es ist eben Mode.« Der Dekan fuchtelte mit den Händen, als wolle er den bösen Zeitgeist vertreiben; Carrington wagte es, Einspruch zu erheben. »Aber wissenschaftliche Forschung lohnt sich doch

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