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Schwanentanz

Schwanentanz

Titel: Schwanentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Francis
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herausgefunden. Wir müssen mal an dein besonderes Archiv, Mutter. Du weißt schon, was ich meine.“
    Nun, Suzanna wusste es nicht. Was sollte sie denn bitteschön herausgefunden haben? Was auch immer es war – es schien die alte Frau zu beleben. Sie wackelte aufgeregt mit den Händen und führte sie durch einen Flur, in dem altmodische Filmposter an den Wänden prangten.
    „Marlon Brando“, erkannte Suzanna schmunzelnd. „Den mag ich auch.“
    „Ein toller Mann, nicht wahr? Sie haben Geschmack.“ Die alte Dame warf ihr einen anerkennenden Blick zu und tätschelte eines der unter Glas gerahmten Poster. Dann stieß sie eine Tür auf und deutete Suzanna und Liz, einzutreten. „Ich will alles erfahren“, sagte sie resolut, zog sich aber vorerst zurück. Ein Glück, denn die Sache war eigenartig genug. In dem kleinen Zimmer reichten an allen Wänden Schränke aus dunklem Massivholz bis an die Decke. Man konnte kaum zu zweit in dem Kämmerchen stehen. Vor dem Fenster verhinderte ein dicker Vorhang, dass Licht eindrang. Liz zog ihn zurück und Staub wirbelte auf, um sich auf die Bücher zu legen, die die Regale bestückten. Es mussten Hunderte sein, vielleicht tausend.
    „Meine Güte“, flüsterte Suzanna an ihrer Ehrfurcht vorbei. Papier, Leinen, Leder und die dicken Stoffe der Vorhänge und weichen Teppiche verschluckten den Hall ihrer Stimme. „All das Wissen erdrückt einen ja fast.“
    Liz zog eine quietschende Schublade auf und nahm ein Album heraus. „Wenn ich mich nicht geirrt habe, wird dir gleich der Atem wegbleiben. Komm, hilf mir. Die Alben sind auf der ersten Seite beschriftet. Wir suchen alle zwischen 1980 und 1985. Darin muss es sein.“
    „Was ist es? Was suchen wir überhaupt?“ Suzanna ließ sich umständlich auf dem Boden nieder und schlug ein Album auf. 1992. Darin befanden sich eingeklebte Fotos, Notizen sowie Zeitungsartikel in einer scheinbar wahllosen Kollektion.
    „Das sag ich dir, wenn ich’s gefunden habe.“
    Prächtige Aussichten. Doch es dauerte nicht so lang wie befürchtet, bis Liz das sehnlich erwartete „Ich hab’s!“ ausrief. Ihr Blick schoss zwischen Suzanna und dem fein säuberlich ausgeschnittenem Zeitungsartikel hin und her. Suzanna rutschte näher, um besser sehen zu können. Das Papier war mit Klebstreifen am Album fixiert. Unter dem Klebeband besaß es die übliche hellgraue Zeitungsfarbe, der Rest war vergilbt, die Druckerschwärze verblasst. Die Schlagzeile sprang ihr dennoch ins Gesicht wie ein schockierend ekliges Insekt.
    Kind vermisst – wo ist Brandon Ferrylan?
    Um den Artikel zu lesen, musste sie das Album ins Licht ziehen, das vom Abend gerötet durchs Fenster schien. Das einjährige Baby war im Sommer 1983 des Nachts aus dem Kinderzimmer geraubt worden. Der Artikel betonte die Tatsache, dass das Kind aufgrund Überforderungsanzeichen der Eltern in den nächsten Tagen der Fürsorge überlassen und in eine Pflegefamilie gegeben werden sollte, weshalb die Ermittlungen sich auf die Familie und deren Umfeld konzentrierten. Was Suzanna jedoch wirklich schockierte, war das Foto des Babys.
    Es war Einbildung. Es musste Einbildung sein, basierend auf einer zufälligen Namensgleichheit. Herrgott, es gab sicherlich Millionen Brandons in Irland. Sie konnte unmöglich einen Mann in einem 27 Jahre alten Babyfoto wiedererkennen. Oder doch? Diese Augen … Große Augen, trotz des Alters bereits misstrauisch verengt. Die Kinnpartie war pummelig rund, aber an den Schläfen zeigten sich schon die Ansätze scharfer Konturen.
    „Dann ist er es wirklich?“ Erst jetzt registrierte Suzanna Liz’ forschenden Blick.
    „Ich weiß nicht. Ich kann das nicht beurteilen, nicht anhand eines so alten Fotos.“
    „Aber du hältst es für möglich.“
    Das stand ihr sicher deutlich im Gesicht. Ihr schwindelte gar ein wenig, sie war bestimmt leichenblass geworden. „Kann schon sein.“
    „Dann komm.“ Liz stand auf und hielt ihr die Hand hin, um ihr aufzuhelfen. „Das, was da steht, ist nur ein Bruchteil der ganzen Geschichte.“
    „Dann ist der Junge wieder aufgetaucht?“
    Liz’ düsteres Lachen jagte ihr einen Schauder über den Nacken. „Ganz im Gegenteil.“
    Sie trug das Fotoalbum ins Wohnzimmer ihrer Mutter, in dem noch weitere Marlon-Brando-Filmplakate zwischen bemalten Porzellantellern und Ölgemälden an den Wänden hingen, und knallte es auf den Tisch. Die Alte kam gleich herbei. In ihren trüben Augen lag ein seltsamer Ausdruck, der mehr als Neugierde verriet. Er

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