Schwanentanz
niemanden erkennen.
Cara stand am Kamin, fischte mit einer Zange aus Silber in der Glut und ließ ein Stück glimmende Kohle in ihre Schale fallen. Dann nahm sie etwas Längliches vom Sims und hielt es in die Flammen.
„Du bezeugst das Ritual, Suzanna“, sagte sie, ohne sie anzusehen. „Traditionell obliegt dies den anderen Kriegern. Aber Seamus ist ängstlich und Angst und Scham sind keine guten Gefährten.“ Sie schüttelte sacht den Kopf, redete über den jungen Mann, als sei er nicht anwesend. „Er ist wie sein Bruder, weißt du? Voller Furcht. Ich hatte angenommen, dass Aiden so ein ängstlicher Mann ist, weil sie ihn geschlagen und gequält haben. Ein kleines Kind, kannst du dir das vorstellen?“ Sie stieß fassungslos die Luft aus. „Menschen sind ein grausames Volk. Aber Seamus habe ich rechtzeitig zu mir geholt. Ich habe ihn beschützt, ihn vorbereitet und hart wie Eichenholz gemacht, ehe er sich zum ersten Mal beweisen musste. Und trotzdem ist die Furcht überall in ihm.“
Suzanna fiel darauf nichts zu erwidern ein. Immer noch war sie wie im Rausch, ihr Gehirn weigerte sich, die Informationen zu einem Muster zu verweben. Ein vertrauter Geruch lenkte sie zunehmend ab. Es roch nach erhitztem Silber. Aus ihrer Ausbildung wusste sie, wie Silber roch, wenn man es glühte; es bekam nicht diesen säuerlichen Geruch wie Eisen und roch nicht nach Blut wie Gold, sondern erinnerte an Steine, an eiskalte Steine. Cara kniete sich neben sie, stellte die Silberschale bereit, in der sich die Flüssigkeit erstaunlicherweise verfärbt hatte, sie war nun klar wie Wasser. Darin schwammen drei Bruchstücke eines orange-roten Edelsteins. Konnte das Granat sein?
Cara strich Seamus die Haare aus dem Genick und spreizte ihre Finger über seinem Hinterkopf. Suzanna spürte ihn unter der Berührung seiner Fürstin zusammenzucken. Cara begann zu murmeln; Gälisch, natürlich, alles andere wäre auch zu einfach gewesen. Schließlich hob Cara die andere Hand, und Suzanna erkannte die Quelle des Silberduftes: Cara richtete einen Dolch auf den Jungen. Die Klinge hatte durch die Hitze ein mattes Schwarz angenommen. Rauch kräuselte sich darum. Suzanna blieb ein Schrei quer in der Kehle stecken, als Cara zustieß.Seamus warf mit einem unmenschlichen Schrei den Kopf in den Nacken, doch Cara presste seine Stirn zurück in die Felle und ließ erstmals erkennen, wie stark sie wirklich war. Seamus brüllte wie von Sinnen, sein Körper verkrampfte katatonisch. Er riss die Arme an den Körper, trat mit den Beinen ins Leere, die Zehen angezogen. In den Geruch von Silber mischte sich der Gestank versengter Haut. Alles ging so schnell, dass Suzanna zu keiner Regung fähig war. Cara griff neben sich, zog die Klinge aus Seamus’ Genick und steckte in derselben Bewegung etwas in die Wunde. Auch ihr Gesicht war verzerrt, Suzanna glaubte, aus den Augenwinkeln Tränen auf ihren Wangen schimmern zu sehen. Doch die Stimme der Sídhefürstin blieb ruhig, sie führte ihren Monolog weiter, hob und senkte die Stimme nicht und wiederholte die immer gleichen Worte wie eine Litanei. Suzanna wagte sich nicht, einzugreifen. Sie presste die Hände auf Seamus’ Rücken, als könnte sie ihm durch die Berührung helfen und wusste zugleich, wie dumm der Gedanke war. Tief in ihrem Inneren fraß etwas an ihr. Das Wissen, eingreifen zu müssen, ihm helfen zu wollen. Sein Nacken war voller Blut, es rann in eiligen Strömen zwischen seinen Schulterblättern hindurch, verästelte sich durch seine Krämpfe und tropfte an seinen Seiten auf die Felle. Er würde sterben, wenn sie weiter zusah. Aber was auch immer Cara mit ihr getan hatte – es wirkte. Sie war wie gelähmt.
Seamus bäumte sich auf, sein letzter Schrei versoff in einem Wimmern, dann verlor er das Bewusstsein.
„Das Heilwasser“, wies Cara sie endlich an, und da schaffte sie es, sich zu bewegen.
Wie einstudiert hob sie die Silberschale hoch. Ihre Arme zitterten so sehr, dass die glitzernde Flüssigkeit herausschwappte und über ihre Finger lief. Sie spürte die Macht dieses Wassers, bemühte sich, keinen weiteren Tropfen zu verschwenden.
„Gieß es über die Wunde.“
Immer noch sprach Cara leise, fast andächtig, doch über ihre Schläfen perlte nun Schweiß. Sie atmete tief aus. Seamus’ Rücken hob sich synchron, als bliese sie ihren Atem direkt in seine Lungen. Suzanna neigte die Schale, sodass das Heilwasser in den Nacken des Jungen floss und das Blut fortwusch. Nun erkannte sie den
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