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Schwangerschaft ist keine Krankheit

Schwangerschaft ist keine Krankheit

Titel: Schwangerschaft ist keine Krankheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jael Backe
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fördert das Bonding. Leider ist das nicht immer so. Das folgende Beispiel zeigt, wie eine Ultraschalluntersuchung die Einstellung zur Schwangerschaft nachhaltig verändern kann.
Fallbeispiel: Jutta C., 30 Jahre
    Die zahnmedizinische Fachangestellte Jutta C. erwartet ihr erstes Kind. Der bisherige Verlauf der Schwangerschaft war völlig problemlos. Jutta ist 21 Schwangerschaftswochen weit und stellt sich aktuell mit ihrem Mann zur Ultraschalluntersuchung vor. Er ist als Krankenpfleger tätig und hat sich für den heutigen Tag Urlaub genommen.
    Beide möchten gerne wissen, welches Geschlecht ihr Baby hat, sie freuen sich auf ihr Kind und sind aufgeregt. Es folgt der übliche Untersuchungsgang, wir betrachten uns das gesamte Baby, seine Lage, messen den Kopf, den Bauchumfang, den Oberschenkelknochen des Babys aus und errechnen sein wahrscheinliches Gewicht. Die Fruchtwassermenge, der Mutterkuchen, alle lebenswichtigen Organe werden betrachtet. Gehirn, Herz, Nieren, Blase – alles unauffällig. Doch dann: Normalerweise enthält die Nabelschnur zwei Arterien und eine Vene. Bei dem Baby von Jutta C. fehlt eine Arterie in der Nabelschnur.
    Ich zögere, kontrolliere den Befund per Doppler-Ultraschall. Es bestätigt sich: Eine Nabelschnurarterie fehlt. Dieses Merkmal ist ein sogenannter Softmarker. In mir macht sich Unbehagen breit. Ich muss dem jungen Ehepaar den Befund jetzt mitteilen. Aber wie, ohne die beiden unnötig zu verängstigen? Die beiden haben schon bemerkt, dass ich nicht mehr spreche und nur noch diese eine Stelle untersuche. Sie blicken fragend.
    Ich setze mich mit den beiden an den Tisch, erkläre den Befund, male auf, worum es geht, und nenne es beim Namen: singuläre Nabelschnurarterie. Beide Eltern erschrecken sehr. Sie können mir vor lauter Aufregung kaum mehr zuhören oder folgen. Sie hören nicht mehr, dass es sich um eine wahrscheinlich harmlose Abweichung handelt. Sie fragen, ob das schlimm sei. Ich verneine. Da ich sonst an dem Baby überhaupt keine Auffälligkeiten bemerkt habe, ist der Befund »nicht schlimm«.
    Zur weiteren Diagnostik überweise ich Jutta sicherheitshalber an ein pränatalmedizinisches Zentrum. Dort soll das Baby noch einmal ganz genau untersucht werden, um das Vorliegen eventuell weiterer vorhandener Auffälligkeiten auszuschließen. Die beiden gehen mit einer Überweisung in der Hand ziemlich verstört nach Hause. Am nächsten Tag ruft Jutta an. Bei der Ultraschalluntersuchung in dem Zentrum habe sich der Befund bestätigt, sonst sei dort keine weitere Auffälligkeit gefunden worden. Man hat sie dort darüber aufgeklärt, dass die einzelne Nabelschnurarterie bei bestimmten Fehlbildungen auftreten kann, unter anderem beim Edwards-Syndrom, beim Pätau-Syndrom und der Trisomie 9. Außerdem sind Herzfehler und Nierenfehlbildungen häufiger bei Kindern mit singulärer Nabelschnurarterie. Jutta ist verängstigt. Alles Unbeschwerte ist aus ihrer Schwangerschaft verschwunden. Ihre Gedanken kreisen um kindliche Fehlbildungen.
    Es folgen Wochen der Schwangerenbetreuung mit wiederholten Ultraschallkontrollen und der steten Beruhigung der Schwangeren. Das Kind entwick­elt sich gut, ist allerdings nicht sehr groß. Mit 39 Schwangerschaftswochen kommt es zur spontanen Geburt eines vollkommen gesunden Sohnes, der nicht die geringste Fehlbildung aufweist. Er wiegt 2 800 Gramm.
Ultraschall-Softmarker – ein diagnostisches und ethisches Dilemma
    Was sind diese sonografischen Softmarker? Im Gegensatz zu den »harten« Fakten, die bei der pränatalen Ultraschalluntersuchung ganz eindeutig auf eine kindliche Fehlbildung oder Erkrankung hinweisen, sind die Softmarker in ihrer Aussagekraft eher unklar und schwammig. Wenn solche auffälligen Strukturen vorhanden sind, ist die Wahrscheinlichkeit für bestimmte Veränderungen oder Erkrankungen beim Kind erhöht, und zwar meist nur leicht erhöht.
    Softmarker haben also einen bloßen Hinweischarakter. Sie weisen rein statistisch gesehen auf ein Risiko hin.
    Wenn mehrere Softmarker kombiniert auftreten, ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass eine kindliche Fehlbildung oder Erkrankung vorliegt. Wichtig aber ist vor allem Folgendes: Einzelne (isolierte) Softmarker sind in den allermeisten Fällen ohne irgendeine klinische Bedeutung. Die einzelne Nabelschnurarterie, die bei Juttas Sohn gefunden wurde, tritt bei jeder 100.

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