Schwangerschaft ist keine Krankheit
an, dass viele Kolleginnen und Kollegen diesen ärztlichen Konflikt ebenso empfinden wie ich. Es gab und gibt aus diesem Grund immer wieder die Ãberlegung, ob Softmarker-Befunde überhaupt mitgeteilt werden sollen. Da sind wir mitten im ethischen Dilemma der Softmarker: Ein Verschweigen des Befundes ist grundsätzlich nicht richtig, weil das einen Vertrauensbruch der Patientin gegenüber darstellt. AuÃerdem spielt hier die rechtliche Absicherung des Arztes eine Rolle für den Fall, dass eben doch eine kindliche Fehlbildung vorhanden sein sollte. Auf der anderen Seite bringt die Befundmitteilung die gesamte Lawine der Ungewissheit und Verängstigung ins Rollen. Was wir auch tun, es ist eine problematische Situation für alle Beteiligten. Manchmal wünschte ich, dass ich im Ultraschall nur noch die wirklich relevanten Dinge sehen könnte.
Leider habe ich in den zahlreichen Kursen und Vorträgen zur Ultraschalldiagnostik noch nie etwas über mögliche psychische Auswirkungen oder über die Kommunikation angeblich auffälliger Befunde gehört. Das fällt bei all der Technik-Verliebtheit der Ultraschallspezialisten unter den Tisch. Oder es wird stillschweigend an die Psychosomatik-Kongresse delegiert, die nur von einer Minderheit der Frauenärzte besucht werden.
Ãber die vorgeburtliche Bestimmung des Geschlechts mittels Ultraschall
Viele Ehepaare wollen so bald wie möglich das Geschlecht ihres ungeborenen Kindes wissen. In Deutschland gibt es keine offensichtlichen Präferenzen bezüglich des kindlichen Geschlechts. Mädchen sind im Allgemeinen genauso willkommen wie Jungen. Dennoch ist Vorsicht bei der Mitteilung des voraussichtlichen Geschlechts des Ungeborenen nach einer Ultraschalluntersuchung geboten. Eine wissenschaftliche Studie untersuchte, welche Konsequenzen ein versehentlich falsch bestimmtes Geschlecht des Babys vor der Geburt haben kann. Beschrieben werden Konflikte mit dem Ehepartner bis hin zu häuslicher Gewalt, negative Wahrnehmung der Ultraschalluntersuchung und eine problematische Einstellung zum Neugeborenen (Chigbu 2008).
Das Ersttrimesterscreening
Fortschritte in Ultraschalltechnologie und Forschung ermöglichten in den letzten Jahren immer frühere Ultraschalluntersuchungen. So kam es, dass seit den 1990er-Jahren ein Screening angeboten wird, das Ungeborene auf das Vorliegen eines Downsyndroms überprüft. Diese Untersuchung wird im ersten Trimester der Schwangerschaft, genauer gesagt zwischen 11 und 13 Schwangerschaftswochen, in Kombination mit einer Analyse des mütterlichen Bluts durchgeführt. Es wird als Ersttrimesterscreening bezeichnet. Wir werden uns im Kapitel 7 dieses Buches noch intensiver mit diesem Thema beschäftigen.
Es gibt durchaus kritische Gedanken zum sogenannten Ersttrimesterscreening. Denn die frühere Diagnose einer Auffälligkeit hat einen gröÃeren emotionalen Langzeiteffekt als ein späterer Befund â möglicherweise noch über die Geburt hinaus (Fisher 2011). Zudem kommen die werdenden Eltern bei einem auffälligen Befund gegebenenfalls in Zugzwang: Sollen wir eventuell noch weitere Untersuchungen durchführen lassen? Würden wir eine Abtreibung vornehmen, wenn sich ein Downsyndrom bei unserem Baby bestätigt? Wie viel wollen wir eigentlich wissen?
Ultraschalluntersuchung â psychisch invasiv
Die Situation der Ultraschalluntersuchung â der Raum abgedunkelt, Sie als Schwangere liegend, gemeinsam mit dem Arzt den Bildschirm betrachtend â erinnert an eine klassische psychoanalytische Sitzung. Sigmund Freud selbst hat seine Therapiestunden unter ähnlichen Bedingungen abgehalten, um seine Patienten in einen Zustand der Entspannung zu bringen und ihnen das Zurückgleiten in eigene frühe Kindheitsphasen zu ermöglichen. Dies geschieht auch bei der Ultraschalluntersuchung. Was währenddessen gesehen und gesprochen wird, geht tief. Deswegen kann ein unbedachtes Wort oder eine ungenügende Erklärung, ja sogar die Mimik des Arztes während der sonografischen Untersuchung Zweifel säen und Angst hervorrufen.
Immer wieder wird die Ultraschalluntersuchung in Lehrbüchern, Vorträgen und Informationsbroschüren als eine nicht-invasive Methode bezeichnet. Invasiv bedeutet »eindringend«. Sie wird der Fruchtwasseruntersuchung gegenüberstellt, bei der mit einer Nadel durch die mütterliche Bauchdecke gestochen und Fruchtwasser aus
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